Der (un)mündige Verbraucher?

von Lukas Posch
Wessen Blick sich nicht auf das Angebot des lokalen Supermarkts beschränkt, dem ist spätestens seit dem Siegeszug des Internethandels bewusst, dass es auch außerhalb unseres Kontinents eine Fülle an Waren gibt, die man hierzulande gerne im Regal sehen würde. Sei es, weil man im Urlaub etwas kennengelernt hat, das es hier nicht gibt oder einfach nur, um eine größere Auswahl zu genießen: gefüllte Regale voll europäischer Waren täuschen nicht darüber hinweg, dass es noch viel zu entdecken gibt. Der Freihandel gäbe uns die Möglichkeit zu einer kulinarischen Entdeckungsreise ohne Atlantiküberquerung – doch in Zeiten, in denen die Furcht vor Hormonfleisch, moralische Überhöhung und als Verantwortungsbewusstsein getarnter Wille zur Bevormundung die Medien der Bundesrepublik füllen, scheint der Wille, Neues kennenzulernen, in den Hintergrund gerückt zu sein. Doch die Ängste sind unberechtigt, die Empörung vermessen.

Angst vor neuem Fleisch

Medial immer wieder angefacht steht die Angst vor Fleisch, welches dem deutschen Verbraucher nach Herkunft oder Zubereitungsweise nicht bekannt ist, im Mittelpunkt der Debatte, die sich an den Schlagworten Hormonfleisch und Chlorhühnchen festmachen lässt. Kernelement jeder Aussage, die sich gegen den freien Handel mit Landwirtschaftsgütern richtet, ist die angeblich mangelnde Sicherheit der Produkte – diese seien nach Herstellungsart ungesund, unterlägen nicht dem Vorsorgeprinzip und würden gesundheitsbeeinträchtigende Stoffe ab Zucht oder Anbau enthalten. Bereits anhand des Chlorhühnchens zeigt sich jedoch, dass die eigene Ausgangssituation vielmehr verdrängt wird. Nicht nur ist solches Geflügel nach Auffassung des Bundesinstituts für Risikobewertung keinesfalls gesundheitsschädlich und in Sachen Keimfreiheit vorteilhaft. Deutsches Geflügel ist Analysen zufolge hingegen oftmals mit Erregern belastet, gegen welche auch Antibiotika wirkungslos sind. Vereinfacht formuliert nimmt jeder Schwimmer im Hallenbad mehr Chlor auf als beim Verzehr von zehn US- Chlorhühnchen. Wird hiervor gewarnt? Nein.
Im Bereich des gerügten Hormonfleisches gehen Freihandelsgegner einen anderen Weg – Fleisch, welches mit Wachstumshormonen behandelt würde, sei in der Europäischen Union bereits jetzt verboten. Begründet würde dieser angebliche Fakt mit der Gesundheitsschädlichkeit des Fleisches aus den Vereinigten Staaten. Auch hier sieht die Wahrheit jedoch anders aus. Einerseits besteht momentan lediglich keine Einfuhrquote für solches Fleisch, andererseits waren alle Versuche der Europäer, irgendeine Gesundheitsschädlichkeit der künstlich hergestellten Wachstumshormone nachzuweisen, gescheitert. Resultat des Beharrens auf unerklärbaren Sorgen war die durch die Welthandelsorganisation genehmigte Erhebung von Strafzöllen auf europäische Exporte. Zudem ist die Verabreichung von Wachstumshormonen auch in Deutschland weit verbreitet, wie Naturschutzbünde berichten.
Wovor also gilt es, sich zu fürchten? Vor höheren Krankheitsraten? Nein, so liegt die Erkrankungsrate für sämtliche Krebsformen in den USA lediglich 2,6% über der Rate der EU-28. Ist es die Lebenserwartung? Auch diese liegt in den Staaten Europas weniger als zwei Jahre über der der US-Amerikaner. Die Tatsache, dass die Unmutsbekundungen stets am lautesten von den Verbraucherschützern geäußert werden, die ihren Schützlingen Handlungsempfehlungen nahelegen, deutet darauf hin, dass man die Möglichkeit der Einflussnahme bedroht sieht. Die Rede von der hiesigen, besseren Landwirtschaft, die Auflistung von komplex klingenden Chemikalien und die lautstarke Verunglimpfung derer, die sich für den Freihandel aussprechen, weil sie sich eine Steigerung der

Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher erwarten – von Wissenschaftlichkeit scheint diese Debatte sich weit entfernt zu haben. Auch medial finden solche Befürchtungen größeren Niederschlag, als etwa einräumen zu müssen, dass die Lage hierzulande nicht besser ist. Es klingt einfach nicht gut, Unrecht zu haben.

Eine Fairnessdebatte?

In einem Gespräch nach einer Podiumsdiskussion zu TTIP wurde dem Autor vorgeworfen, er würde sich zur Unfairness bekennen, indem er sich für das Wahlrecht des Verbrauchers ausspricht. Zu gefährlich sei es, dem Verbraucher die freie Wahl zu überlassen, ob er im Chlorbad gewesene Hühnchen kaufen möchte oder nicht – gefährlicher, als ihm die Möglichkeit zu geben, von keimbelastetem, mit Antibiotika behandeltem Fleisch Abstand zu nehmen. So kurz diese Äußerung auch gewesen sein mag, sie erlaubt Rückschlüsse auf das Gedankenkonstrukt jener, die im freien Handel dessen Vorteile nicht sehen wollen. Es ist eine Welt, die vom moralischen Imperativ geprägt ist, den auszusprechen nur diejenigen bemächtigt sind, die meinen, für die gesamte Gruppe, die sie medial verstärkt hören muss, zu sprechen. Dieser Imperativ, früher versteckt hinter Studien von Mindermeinungen, spricht heute die Sprache der Verbote. Wenn der Verbraucher schon nicht die Wahl treffen würde, die sie wünschen, dann soll ihm diese Wahl eben genommen werden.
Bereits heute ist es Verbrauchern vereinzelt möglich, sich Substanzen in Nahrungsmitteln auszusetzen, zu denen über 300 Millionen Menschen Zugriff haben, ohne davon gesundheitlich negativ beeinträchtigt zu werden. Die Tatsache, dass es vereinzelt auch in deutschen Regalen Schokoladen gibt, für deren Herstellung gentechnisch modifizierte Rohstoffe herangezogen wurden, spricht für die Möglichkeit des Verbrauchers, frei und verantwortungsbewusst entscheiden zu können. So ist nicht etwa anzunehmen, dass aus dem Exotischen eine Allerweltssache wird. In der Tat wird US-amerikanisches Fleisch hierzulande öfter zu finden sein – doch der unter dem Vorwand des stets vorgebrachten niedrigeren Preises verborgenen Befürchtung, es würde den vollständigen Ersatz deutscher Produkte darstellen, ist entgegenzutreten. Bereits heute ist ein Gutteil der Verbraucher nicht bloß preisbewusst, und den Preisbewussten bleibt die Sicherheit, dass nichts, das sie aus dem Supermarkt tragen, ernsthaft gesundheitsschädlich sein kann. Das würde sich mit TTIP nicht ändern. Selbst das Einhalten einzig US- amerikanischer Standards würde an der Sicherheit unserer Lebensmittel wenig ändern.
Noch ein letzter Gedanke zur Fairness – einzig Freihandel kann langfristig fair sein. Er erlaubt es dem Verbraucher, seinen Prioritäten zu folgen und von einer erhöhten Auswahl zu profitieren. Zugleich ermöglicht er es dem Produzenten einer nur vereinzelt nachgefragten Ware, seinen Absatzmarkt zu vergrößern. Wer erklärt, dass der Freihandel den Verbrauchern schaden würde, traut diesen keine vernünftige Entscheidung über ihren Lebenswandel zu. Wer aber an die Fähigkeit der Menschen zur eigenverantwortlichen Entscheidung glaubt und ihnen die Möglichkeit geben möchte, ihr Leben durch Gestaltungsfreiheit zu verbessern, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich für TTIP auszusprechen – freier Handel für freie Menschen.