Freien Handel, den wir brauchen
Freihandel ist etwas grundsätzlich Böses, könnte man meinen, wenn man dieser Tage die aktuelle Berichterstattung verfolgt. Derzeit sprießt eine Vielzahl von Abkommen aus dem Boden – sei es TTIP, CETA oder TISA. Und gegen jedes von ihnen formiert sich Protest. Das Abkommen zwischen der EU und Kanada (CETA), welches als Blaupause für das Abkommen mit den USA (TTIP) dienen sollte, droht jetzt kurz vor dem Abschluss zu scheitern.
Die Hauptkritik der gut organisierten kritischen Gegenöffentlichkeit richtet sich gegen mangelnde Transparenz und ein einseitiges Verhandlungsmandat. Nicht das Gemeinwohl von ArbeitnehmerInnen und VerbraucherInnen würde die Verhandlungsführung leiten, sondern ausschließlich die Exportinteressen der Industrie. Diese Kritik ist notwendig und in vielem berechtigt.
Doch genauso ist es notwendig, jetzt die Diskussion über eine positive und nachhaltige Vision von Freihandel zu führen. Fairer Wettbewerb im Sinne einer zukunftsfähigen Ökonomie – das würde Wohlstand für alle bedeuten und den Klimaschutz voranbringen.
Die VerhandlungsführerInnen müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass sich unter den Voraussetzungen der Digitalisierung unserer Gesellschaften eine kritische globale Öffentlichkeit ausbildet. Wer sich diesem kritischen Diskurs verweigert, geht am Ende (zurecht) unter.
Die einfache Botschaft „Freihandel fördert das wirtschaftliche Wachstum“ reicht nicht mehr aus. Wachstum von was? Von Umweltverbrauch und Ressourcenverschwendung? Freihandel im 21. Jahrhundert muss dazu beitragen, die gegenwärtigen Probleme dieser Zeit mit zu lösen, nicht sie weiter zu verschärfen.
So wundert es dann nicht, dass ein Abkommen, welches ebenfalls ganz neu verhandelt wird, bisher noch keinerlei Anstoß gefunden hat. Das Environmental Goods Agreement (EGA). Dieses Abkommen wird dazu dienen, den Handel mit Umweltgütern zu vereinfachen und bestehende Zollbeschränkungen abzubauen, sodass deren Proliferation anwächst. Insgesamt 14 Länder haben in Genf die Verhandlungen dazu aufgenommen, darunter die EU, USA, Schweiz und China.
Im Kontext von TTIP wäre es lohnenswert, sich mit einer „Sustainable Economy“ als Leitmotiv auseinanderzusetzen. Ein Freihandelsabkommen auf der Basis hoher ökologischer und sozialer Standards, aufbauend auf einer gemeinsamen Wertebasis zwischen USA und EU, könnte für den globalen Handel stilbildend sein. Das Gemeinwohlinteresse sollte dabei in den Vordergrund gestellt, und möglichst viele Stakeholder einbezogen werden.
Eine grüne Agenda für TTIP könnte nicht nur Akzeptanz in der Bevölkerung schaffen. Mit der Verständigung auf klare ökologische, soziale und demokratische Rahmenbedingungen könnten wir beidseitig des Atlantiks den Wandel hin zu einer nachhaltigen Ökonomie anstoßen, in letzter Konsequenz als Hoffnungsbringer für den weltweiten Klimaschutz. Die gemeinsame Grundüberlegung lautet, dass funktionierender Freihandel Märkte voraussetzt, die auf der Basis fairen Wettbewerbs beruhen. Preise müssen immer auch die ökologische Wahrheit beinhalten. Mindestlöhne sind im Sinne der Wettbewerber, damit Unterbietungswettbewerb vermieden wird. Der Stern-Report hat beziffert, wie schädlich es für unsere Volkswirtschaften ist, nicht frühzeitig grundlegend in Energieeffizienz und Ressourcenschonung zu investieren. Die wichtigste Zukunftsfrage unserer Zeit ist die Ressourcenwende. Diese Herausforderung wird Europa nicht unilateral lösen können. Gemeinsame Anstrengungen von EU und USA sollten keine Utopie sein, sondern hergeleitet aus gemeinsamen Interessen: Beide Wirtschaftsräume streben eine zunehmende Unabhängigkeit von Rohstoffimporten an. Beide erheben den Anspruch, echten Wettbewerb auf der Grundlage fairer Rahmenbedingungen zu fördern.
Ein „Fossil-Fuel Phase Out“, Top-Runner-Ansatz und Emissionshandel als Fitnessprogramm für die Industrie
Wenn TTIP ein glaubhaftes Mandat für fairen Wettbewerb sein will, muss über ein „Fossil-Fuel Phase Out“ ernsthaft verhandelt werden. Die hohe Subventionierung der Förderung und Absicherung fossiler Energieträger ist extrem wettbewerbsverzerrend und schadet den Volkswirtschaften beiderseits des Atlantiks. Laut Angaben der Internationalen Energieagentur werden weltweit für Erdöl, Kohle und Gas 2011 unglaubliche 523 Mrd. US-Dollar jährlich ausgegeben, ca. sechsmal so viel wie für klimafreundliche Technologien. Tendenz steigend. Im Subventionsbericht der Bundesregierung für das Jahr 2014 liegt die im Inland unwirtschaftliche Steinkohle mit 1,172 Mrd. Euro auf Platz 1. Die Kosten für die Endlagerung der Atomenergie wer-den erst kommenden Generationen aufgebürdet.
Die erste Stufe der Effizienzrevolution haben wir in Deutschland hingegen erfolgreich auf den Weg gebracht. Dank der Technologieentwicklung über das EEG konnten die Stückkosten für Photovoltaik und Windkraft drastisch gesenkt werden. Davon profitiert heute die Weltwirtschaft. Eine echte Ressourcenwende hin zu einer klimaschonenden Ökonomie schaffen wir aber nur, wenn echte Wettbewerbsgleichheit zwischen fossilen und erneuerbaren Energieträgern geschaffen wird. Grenzkosten Null beim Brennstoffinput – das ist das attraktive Versprechen der Erneuerbaren abseits aller ideologischen Auseinandersetzungen. Hierzu bräuchte es ein klares Bekenntnis im Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU.
Japan hat Ende der 90er Jahre den sog. Top-Runner-Ansatz für seine Industrie eingeführt, der stets die höchsten Effizienzstandards zur Maßgabe für die Produkt- und Technologieentwicklung etabliert hat. Technologien, die diesen höchsten Maßstab nicht erfüllen, werden sukzessive vom Markt genommen. Diese Orientierung am Höchststandard sollte auch für ein transatlantisches Freihandelsabkommen stilbildend sein.
Innovationen über ökologische Standards haben in Deutschland längst Tradition. Wo stünde unsere Chemische Industrie heute mit ihrer Wettbewerbsfähigkeit ohne die harte jahrzehntelange Auseinandersetzung mit den Umweltverbänden? Welche Art von Fahrzeugen würde die Automobilindustrie heute immer noch herstellen, wenn wir nicht über Emissionszertifikate und Ökosteuern andere Rahmenbedingungen gesetzt hätten? Deutschland hält einen Weltmarktanteil von 15% an Umwelttechnologien. Kalifornien gilt als Vorreiter einer „Green Economy“. Der Emissionshandel mit CO2-Zertfikaten ist in vielen US-Bundesstaaten auf dem Vormarsch. Die EU hat gerade ihren Emissionshandel durch Backloading aufgewertet und diskutiert die Weiterführung ab 2016 mit einem Reduktionsziel von 40% bei den Treibhausgasen bis 2030 auf der Basis von 1990. Für die Automobilindustrie gelten ab 2020 in beiden Wirtschaftsräumen deutlich strengere Vorschriften. Die Richtung stimmt also, das Tempo noch nicht, und es mangelt an einer konsequenteren Abstimmung der verschiedenen Systeme und Instrumente aufeinander. Auf beiden Seiten des Atlantiks hat man allerdings erkannt, dass es nachhaltiger ist, Ressourcenverbrauch statt Personal in den Betrieben zu rationalisieren. So erwächst aus der ökologischen Orientierung die soziale.
Diese kurzen Ausführungen können nur einige Beispiele einer „Sustainable Economy“ skizzieren. Welches Potenzial aber darin liegen kann, zeigen auch Konzeptionierungen der Öffentlichkeit, die oben angesprochen worden ist. Vor wenigen Jahren formierte sich eine „Alternative Trade Alliance“ von bis zu 50 Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein Alternative Trade Mandate für das 21. Jahrhundert auszubuchstabieren. Einige dieser Organisationen sind auch Teil des aktuellen Protestes gegen die jetzige Art TTIP zu verhandeln.
Einen Erfolg werden diese Verhandlungen unter den Bedingungen der aktuellen globalen Vernetzung aber nur erreichen, wenn wir die Dichotomie zwischen GegnerInnen und BefürworterInnen der jetzigen Verhandlungen überwinden und gemeinsame Foren schaffen, um über einen freien Handel, den wir brauchen, zu diskutieren.