Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika sind wichtige Handelspartner. So stehen sie gemeinsam für einen wesentlichen Teil des weltweiten Handels. Sie erzielen fast die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung. Ein Drittel des weltweiten Waren- und Dienstleistungshandels läuft im EU-Binnenmarkt, innerhalb der USA oder zwischen der EU und den USA. Rund ein Drittel aller weltweiten Patente werden in der EU oder in den USA angemeldet.
Auch die teilweise scheinbare Gleichgültigkeit mancher in Washington gegenüber Bedenken der Europäer hat das Vertrauen nicht gestärkt. Würde nicht Russlands Bruch mit der in Europa nach dem Ende des kalten Kriegs geschaffenen Ordnung den transatlantischen Schulterschluss erfordern, wäre das Verhältnis vielleicht noch wackeliger.
Es besteht also manche Sorge, dass durch die wechselseitigen Irritationen die transatlantische Substanz belastet werden könnte, zum Beispiel die Verhandlungen über TTIP, das Projekt einer transatlantischen Freihandelszone. In ihr schließen sich die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt mit insgesamt mehr als 800 Millionen Menschen enger zusammen. Durch den Abbau von Barrieren werden Handel und Investitionen in der Europäischen Union und den USA gefördert. Dies schafft Wachstum und Arbeitsplätze.
Dieses Abkommen kann vor allem weltweit Maßstäbe setzen bei Themen wie Nachhaltigkeit, Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz und damit zur erfolgreichen Gestaltung der Globalisierung beitragen. Hierin liegt die geopolitische Bedeutung von TTIP.
TTIP ist letztlich der Versuch, westliche Standards in der Globalisierung durchzusetzen. Deutschland sollte hieran ein besonderes Interesse haben. So nimmt unser Land seit 2012 den ersten Platz im Index der globalen Verflechtung ein. Dieser Index des McKinsey Global Institutes misst den weltweiten Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Finanzen, Menschen und Daten.
Die aktuellen politischen Krisen in der östlichen und südlichen Nachbarschaft Europas , ob in der Ukraine oder im Nahen Osten, verdeutlichen, dass Europa und die USA aufeinander angewiesen sind. Beide machen den „Kern des Westens“ aus – ein Begriff der angesichts der Kräfteverschiebungen in der multipolaren Welt eine neue Bedeutung anzunehmen scheint. Denn Russland betont ja angeblich russisch-orthodoxe Werte, die es gegen den „dekadenten Westen“ stellt. Im Nahen Osten will der extremistische Islamismus versuchen, den Gottesstaat als Gegenmodell zum Westen zu etablieren. China hat in den Augen aufstrebender Mächte gezeigt, dass wirtschaftlicher Erfolg auch in einem autoritären System möglich ist.
TTIP bietet die historische Chance, neben der NATO eine zweite transatlantische Klammer zu schaffen. Sie käme zu einem Zeitpunkt, zu dem manche in Washington über einen „Schwenk nach Asien“ nachdenken und von Europa zunehmend erwarten, dass es die Lasten teilt. Für die Europäische Union wäre TTIP auch die Gelegenheit, seinen Platz in der multipolaren Welt zu bestimmen und seine Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Die EU ist schließlich die größte Handelsmacht der Welt, besitzt die zweitwichtigste Währung und vergibt mehr internationale Entwicklungshilfe als jede andere Organisation.
Bei den laufenden Verhandlungen über TTIP gilt es, unsere bewährten europäischen Standards zu verteidigen. Die Sorgen der Menschen über den Abbau sozialer oder Umweltstandards sind ernst zu nehmen, ihre Fragen sind zu beantworten. Daher ist es besonders wichtig, dass ein besserer Zugang zu den laufenden TTIP-Verhandlungen für Mitglieder des Europäischen Parlaments sowie für die Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist. Mit den jetzt vorgestellten Neuerungen für mehr Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen ist der seit dem 1. November im Amt befindlichen Kommission ein gelungener Neustart geglückt. Denn unser aller Ziel sollte der Abbau von Sorgen und Mythen sein – das kann nur durch umfassende Transparenz geschehen.
Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments stellen schon heute in den Sitzungen die sich mit TTIP befassen viele (unangenehme) Fragen und machen ihre Bedenken deutlich. Die Kommission weiß: Am Ende wird das Europäische Parlament das Abkommen sehr genau unter die Lupe nehmen und entscheiden, ob es positiv abstimmt. Dafür hängt viel von der Einhaltung der besten Standards ab.
In der globalisierten Welt des 21. Jahrhundert kann Europa nicht alleine bestehen. Wir sollten uns die richtigen Partner aussuchen. Die transatlantische Partnerschaft gründet auf einem Fundament gemeinsamer Werte. Auch im 21. Jahrhundert gibt es keine besseren „Verbündeten“ füreinander als Nordamerika und Europa. Diese Partnerschaft ist der Schlüssel zu mehr Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in der Welt. Bei TTIP geht es nicht nur um Chlorhühnchen. Es ist ein strategisches außen- und wirtschaftspolitisches Projekt.