Wer erinnert sich noch an Oktober vergangenen Jahres, als ein kleiner, ungehorsamer Teil Belgiens im Fokus der Weltöffentlichkeit stand? Damals sagte Justin Trudeau öffentlichkeitswirksam seine Reise nach Brüssel ab und protestierte, dass die EU wohl keinen verlässlicheren und stabileren Handelspartner als Kanada bekommen könne.
Paul Magnette, Regierungschef der Wallonie, hatte im Bewusstsein, dass es auf die Zustimmung seines Regionalparlaments zum endgültigen Verhandlungsergebnis ankommen würde, all seine Macht ausgespielt, und provozierte auf diese Weise einen öffentlichen Showdown, in den sich unter anderem Martin Schulz und Jean-Claude Juncker einschalten mussten. Magnette genoss wohl den kurzen Moment des Rampenlichts und das Verhandeln auf Augenhöhe mit viel beachteten Politikern und gab kurz darauf seine Opposition gegen das ausverhandelte CETA-Abkommen (Comprehensive Economic Trade Agreement) auf. Justin Trudeau besuchte dann doch noch Brüssel und am 30. Oktober 2016 konnten alle beteiligten Parteien den final ausgehandelten Vertrag unterschreiben. Seitdem kehrte öffentlich wieder Ruhe in dieser Angelegenheit ein.
Mit 21. September 2017 ist CETA nun vorläufig in Kraft getreten. Damit wurden auf einen Schlag etwa 98% aller bis dahin bestehenden Zölle zwischen Kanada und der Europäischen Union aufgehoben. Bedenkt man, dass die EU Waren im Wert von etwa EUR 68 Mrd. und allein Deutschland Waren in Höhe von circa EUR 14 Mrd. mit Kanada austauscht, erscheint dies doch als substanzieller Effekt. Zumal noch alle sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnisse, darunter die Angleichung von Standards, die gegenseitige Anerkennung von Berufsausbildungen und die Harmonisierung von Prüfverfahren, in die Betrachtung einbezogen werden müssen. Kritiker befürchten, dass Standards abgesenkt werden, Europa mit genmanipuliertem Lachs überschwemmt wird und die Schiedsgerichte undemokratische Verfahren zur Streitbeilegung implementieren. So klar, so erwartbar. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch unweigerlich die Notwendigkeit einer differenzierteren Auseinandersetzung auf.
CETA enthält neben der Senkung oder kompletten Beseitigung tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse verschiedene Importquoten für landwirtschaftliche Produkte (z.B. Mais). Diese Quoten werden erst in den nächsten Jahren (je nach Produkt zwischen drei und sieben Jahren) eine vollständige Marktöffnung einleiten. Andere Produkte wie Eier und Geflügel sind von der Marktöffnung komplett ausgeschlossen.
Im Vertrag ist ebenfalls die Ausweitung des EU-Schutzes für über 140 regionalspezifische Marken verankert, welcher damit nun auch in Kanada gilt. So wird zukünftig auch in Vancouver, Montreal und Toronto ein Wiener Schnitzel nur noch aus Kalbfleisch hergestellt werden dürfen. Selbstverständlich gelten auch weiterhin die lieb gewonnen europäischen Schutzstandards. Zudem ist zu beachten, dass noch gar nicht alle Kapitel, wie finanzmarktspezifische Regulierungen, in Kraft gesetzt worden sind. Dies hat den Grund, dass Politikfelder, in denen die EU nicht die alleinige Kompetenz besitzt, ohne die Ratifizierung aller Mitgliedsstaaten, aktuell ausgeklammert sind. Allein diese Mechanismen zeigen bereits, dass es sich tatsächlich um einen Handelsvertrag einer neuen Generation handelt.
Die wahrscheinlich größte Veränderung, die CETA in Vergleich zu älteren Handelsabkommen aufweist, ist die neu geregelte Streitbeilegung. Anstatt privater Schiedsgerichte ebnet es den Weg für Berufungsverfahren und einen Handelsgerichtshof mit 15 staatlich anerkannten Richtern. Dies setzt Maßstäbe für weitere Abkommen und zeigt auf, dass Freihandel und Demokratie keine Kontrastpunkte sein müssen. Das neue Abkommen zwischen Japan und Europa (“JEFTA”) hat dieses Verfahren schon implementiert. An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass das harte und in Teilen geradezu unfaire Werben von NGOs auch dazu geführt hat, dass das alte System überdacht wurde. Diese öffentliche Sichtbarkeit von und Debatte über Handelspolitik ist vielleicht der größte Verdienst, welchen CETA und auch TTIP geleistet haben.
Was geschieht nun, da CETA vorläufig in Kraft getreten ist? Zwar haben schon drei europäische Staaten (Lettland, Spanien, Dänemark), das Europäische Parlament und auch Kanada das Abkommen ratifiziert, jedoch müssen noch 25 andere EU-Staaten das Abkommen entsprechend ihren innerstaatlichen Regelungen verabschieden. Erst danach tritt es vollständig in Kraft. Dass dies durchaus noch dauern kann, haben wir letztes Jahr gesehen, als ein belgischer Regionalpolitiker die große Weltpolitik beeinflusst hat.
von Robin Arens, Co-Vorsitzender des Canada Department