Drei Teilnehmer der IjT-Delegation berichten euch von der Konferenz.
Ein Text von Arian Aghashahi, Nathalie Herberger und Annabelle Weisser
Vergangene Woche war es wieder soweit. Die Deutsche Atlantische Gesellschaft, die Bundesakademie für Sicherheitspolitik und die Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland haben die außen- und sicherheitspolitische Community zum NATO Talk around the Brandenburger Tor eingeladen. Das prägnante Thema: Die Zukunft der NATO in einer unvorhersehbaren Welt.
Ein Ereignis von historischer Bedeutung unterstreicht am Morgen des 13. November die Aktualität des Themas. Während wir in Berlin den Panels zur Zukunft des transatlantischen Verteidigungsbündnisses lauschen, unterzeichnen in Brüssel 23 EU-Staaten das Grundsatzdokument Pesco – die Permanent Structured Cooperation, also die ständige strukturierte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der EU, die sich gemeinsam in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik engagieren wollen. Es ist ein großer Tag für die Sicherheit der EU. So ist allen Teilnehmenden im Spiegelsaal des Hotel Adlon bewusst, dass 2018 ein wichtiges Jahr für die europäische Sicherheitslage sein wird. Die sicherheitspolitische Community wird die Grundlage für eine Zusammenarbeit schaffen, Herausforderungen definieren und Lösungen ausarbeiten müssen. Eine zentrale Aufgabe ist es, den Europäern ein besseres Verständnis vom Thema Verteidigung zu vermitteln und gleichzeitig eine Atmosphäre zu schaffen, die zu Engagement und Beteiligung einlädt.
Pesco, das betont Anne-Marie Descôtes, Französische Botschafterin in Deutschland, sei keine EU-Armee, wie Kritiker befürchten. Vielmehr gehe es darum, Verteidigung als europäische Aufgabe zu begreifen ohne jedoch die Souveränität der einzelnen Staaten infrage zu stellen. Eine bessere Koordination der EU-Sicherheitspolitik erhofft sich Vessela Tcherneva, Programmdirektorin und Leiterin des European Council on Foreign Relations Büros in Sofia, Bulgarien. Nur so könne man auf Gefahren schneller und flexibler reagieren. Marko Mihkelson, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im estnischen Parlament, weist hingegen darauf hin, dass alle Verhandlungsbereitschaft nichts nütze, solange man die Verteidigungsausgaben nicht ernst nehme. Schließlich habe man sich 2014 innerhalb der NATO darauf geeinigt, spätestens ab 2024 jährlich 2% des Bruttoinlandsproduktes für Rüstung und Militär auszugeben. Man kann Mihkelson verstehen, immerhin ist Estland eines der wenigen NATO-Länder, das sich bereits jetzt an diese Vereinbarung hält.
An Estlands Seite stehen in diesem Konflikt die USA. Nicht erst seit Präsident Trump plädieren US-amerikanische Regierungsvertreter für höhere Verteidigungsausgaben der Bündnispartner. Die Ungewissheit der Trump-Regierung verdeutliche aber zunehmend, dass die EU unabhängiger von den USA werden muss – auch wenn Pesco auf keinen Fall als EU-Alternative zur NATO, sondern als Ergänzung verstanden werden sollte, sagt Botschafterin Descôtes. Volker Rühe, ehemaliger Bundesverteidigungsminister, zeigt sich hingegen optimistisch: „Solange es Checks und Balances gibt, können wir uns auf Amerika verlassen.“ Dennoch kann auch er nicht dementieren, dass beispielsweise Trumps Aufkündigung des Atom-Abkommens mit dem Iran Unsicherheit verbreitet. Selbige bringt auch Kent Logsdon, der derzeit kommissarisch die US-Botschaft leitet, in Bedrängnis. Er weist darauf hin, dass die Entscheidungsmacht über den weiteren Verlauf aktuell beim US-Kongress läge. So bleibt ihm lediglich zu betonen, dass der Dialog mit Stakeholdern aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland geschätzt werde.
Es ist aber nicht nur die US-Regierung, die das politische Berlin derzeit in Atem hält. Auch die Sondierungsgespräche beschäftigen an diesem 13. November die Podiumsteilnehmer. Einer der angekündigten Keynote Speaker muss seine Teilnahme gleich ganz absagen, so sehr lastet der Auftrag zur Regierungsbildung auf ihm. Omid Nouripour hingegen, außenpolitischer Sprecher der Grünen in der vergangenen Legislaturperiode, steht Moderator Werner Sonne Rede und Antwort. Die Bundeswehr müsse unbedingt besser ausgerüstet werden, stimmen die beiden einander zu. Auf höhere Verteidigungsausgaben will sich Nouripour jedoch nicht festlegen.
Es ist ein Montag, drei Tage bevor die Sondierungen offiziell beendet sein sollen. Dass am folgenden Donnerstag die Verhandlungen bis tief in die Nacht dauern, um dann schließlich unterbrochen zu werden, das wissen die Teilnehmenden des NATO Talks noch nicht. Am 17. November stehen die Sondierer morgens erschöpft vor dem Kameras, als sie verkünden, dass man in zentralen Fragen noch keine Einigkeit gefunden habe. Das Thema Verteidigung liest sich dabei wie eine Case Study der verzwickten Lage: Obwohl Union, FDP und Grüne den Wunsch nach einer starken europäischen Verteidigung gemein haben, komme man doch in der Frage nach den Ausgaben zu keiner Lösung. Während CDU/CSU und FDP in einer stärkeren EU auch die Förderung des europäischen Zusammenhalts sehen, bevorzugen die Grünen eine zivile Ausrichtung des Staatenverbunds. Die sonst eher ausgabenscheue FDP befürwortet sogar einen Anstieg in den Verteidigungsausgaben und mischt sich damit unter die Transatlantiker der Union. Dem gegenüber steht die pazifistisch geprägte Parteibasis der Grünen, die die Kompromissfähigkeit der grünen Unterhändler stark einschränkt.
Nur eine Woche später, am 20. November, dominiert folgende Schlagzeile alle Kanälen in Deutschland und der Welt: „Jamaika Sondierungen sind gescheitert.“ Wie es nun für die aktuell geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel und die deutsche Bundesregierung weitergeht, ist ungewiss. Was dies für die außen- und sicherheitspolitische Lage Europas bedeutet – mit Deutschland als wichtigstem und stärkstem Land der EU ist nur schwer hervorzusehen. Wir können jedenfalls davon ausgehen, dass – wie zu Beginn gesagt – 2018 ein wichtiges Jahr für die europäische Sicherheitslage sein wird.
Fotos: S. Dietmar 2017