Der transatlantische Graben wird tiefer. Amerika bewegt sich gen Pazifik, Europa dreht sich im Kreis. Doch anstatt den Niedergang der transatlantischen Beziehungen in immer gleichen Leitartikeln zu bejammern, müssen wir selbst die Initiative ergreifen.
Das Fazit vorweg: Es war ein schlechtes Jahr für die transatlantischen Beziehungen. Auch dem letzten Beobachter sollte mittlerweile der Treppenwitz der Geschichte aufgefallen sein, dass nach der Ära des in Europa verhassten George W. Bush Jr. tatsächlich ein Präsident in das Weiße Haus einzieht, der sich noch weniger für Europa interessiert und dessen Methoden der Amtsführung sich im Laufe seiner Präsidentschaft immer denen seines Vorgängers annähert. Mitgerissen in den Sog der Begeisterung, den Barack Obama durch seinen Wahlkampf ausgelöst hat, ist am Morgen nach dem Delirium klar, wohin die strategische Reise der Vereinigten Staaten geht. Weg von Europa – hin zu Asien. Dieser Umstand wurde vielfach beschrieben, beklagt und bedauert. Außenministerin Hillary Clinton hat diese Entwicklung eindrucksvoll in ihrem Artikel „Americas Pacific Century“ im Foreign Policy Magazine bereits mit der Überschrift auf den Punkt gebracht. Ausführlich beschreibt sie das ökonomische, politische und militärische Interesse der Vereinigten Staaten in Südostasien. Dass dies keine Sonntagsphrasen sind, sondern Hinweise auf handfeste geopolitische Neukoordinierungen, zeigt das Interesse der US-Administration an Staaten, die beim wiederum oft zitierten Aufstieg Chinas oft vergessen werden: Singapur, Malaysia, Indonesien und Australien, um nur einige zu nennen. Gewaltige Märkte wachsen heran, Mittelschichten entstehen, Partner in der Welt werden dringend gesucht.
Wer kann es den Amerikanern verübeln? Das Guido Westerwelle auf der Suche nach „neuen strategischen Partnerschaften“ angesichts des Aufstiegs der BRIC-Staaten ist, stellt de facto die Westbindung der Bundesrepublik Deutschland infrage. Nicht nur Joschka Fischer kritisiert das scharf – unisono wissen transatlantische Think Tanks angesichts solcher Aussagen nicht mehr weiter. „Fahrlässig“ ist noch der freundlichste Ausdruck für solche verbalen Entgleisungen.
Im Libyen-Konflikt klang einmal mehr Henry Kissingers Frage nach der Telefonnummer Europas durch. Die Uneinigkeit Europas, das Ausscheren Deutschlands beim Abstimmungsverhalten zur UNO- Resolution 1973/2011 und die militärische Unfähigkeit Europas, eine viertklassige Wüstenarmee ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten zum Schutze der Zivilbevölkerung, allen voran der Einwohner Bengasis, auszuschalten, stellten eine weitere Belastung der transatlantischen Beziehungen dar. Leading from behind hörte sich defensiv an, war de facto aber nur ein Vorwand, um der amerikanischen Öffentlichkeit keine dritte Kriegsfront zumuten zu müssen. Was das finanzielle und militärische Gewicht an der Operation Odyssey Dawn angeht, war das US-Militär klar der Hauptakteur der Intervention. Auch wurde einmal mehr deutlich: Europa ist militärisch immer noch signifikant von Amerika abhängig. Doch werden die Vereinigten Staaten angesichts ihrer Haushaltssituation und der außenpolitischen Neukoordinierung auch in Zukunft die Muße haben unsere Sicherheit zu garantieren und vor unserer europäischen Haustür Probleme lösen? Trotz der Einrichtung des Europäischen Auswärtige Dienstes kann keine Rede von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sein. Frau Ashton kann einem leidtun, dass sie bei jedem Staatsbesuch zunächst erst einmal erklären muss, für welche der 27 Mitgliedsstaaten sie jetzt eigentlich spricht. Amerika bewegt sich gen Pazifik – Europa dreht sich um sich selbst, ergo im Kreis.
Schließlich die Schuldenkrise – die wohlbemerkt nicht nur eine europäische, sondern auch eine US- amerikanische ist. Der Ton, mit dem sich Finanzminister Timothy Geithner und Wolfgang Schäuble
Wer kann es den Amerikanern verübeln? Das Guido Westerwelle auf der Suche nach „neuen strategischen Partnerschaften“ angesichts des Aufstiegs der BRIC-Staaten ist, stellt de facto die Westbindung der Bundesrepublik Deutschland infrage. Nicht nur Joschka Fischer kritisiert das scharf – unisono wissen transatlantische Think Tanks angesichts solcher Aussagen nicht mehr weiter. „Fahrlässig“ ist noch der freundlichste Ausdruck für solche verbalen Entgleisungen.
Im Libyen-Konflikt klang einmal mehr Henry Kissingers Frage nach der Telefonnummer Europas durch. Die Uneinigkeit Europas, das Ausscheren Deutschlands beim Abstimmungsverhalten zur UNO- Resolution 1973/2011 und die militärische Unfähigkeit Europas, eine viertklassige Wüstenarmee ohne die Hilfe der Vereinigten Staaten zum Schutze der Zivilbevölkerung, allen voran der Einwohner Bengasis, auszuschalten, stellten eine weitere Belastung der transatlantischen Beziehungen dar. Leading from behind hörte sich defensiv an, war de facto aber nur ein Vorwand, um der amerikanischen Öffentlichkeit keine dritte Kriegsfront zumuten zu müssen. Was das finanzielle und militärische Gewicht an der Operation Odyssey Dawn angeht, war das US-Militär klar der Hauptakteur der Intervention. Auch wurde einmal mehr deutlich: Europa ist militärisch immer noch signifikant von Amerika abhängig. Doch werden die Vereinigten Staaten angesichts ihrer Haushaltssituation und der außenpolitischen Neukoordinierung auch in Zukunft die Muße haben unsere Sicherheit zu garantieren und vor unserer europäischen Haustür Probleme lösen? Trotz der Einrichtung des Europäischen Auswärtige Dienstes kann keine Rede von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sein. Frau Ashton kann einem leidtun, dass sie bei jedem Staatsbesuch zunächst erst einmal erklären muss, für welche der 27 Mitgliedsstaaten sie jetzt eigentlich spricht. Amerika bewegt sich gen Pazifik – Europa dreht sich um sich selbst, ergo im Kreis.
Schließlich die Schuldenkrise – die wohlbemerkt nicht nur eine europäische, sondern auch eine US- amerikanische ist. Der Ton, mit dem sich Finanzminister Timothy Geithner und Wolfgang Schäuble
angegangen sind, ist Ausdruck von vielem, aber sicher nicht von vertrauensvoller transatlantischer Kooperation. Über den Emissionsstreit der Flug-Airlines mag man erst gar nicht denken.
Diese Liste der Enttäuschungen lässt sich beliebig fortsetzen – doch genug der Wehklagen! Oft wird in der Debatte um die Zukunft der transatlantischen Beziehungen verkannt, dass eine intensive europäisch-amerikanischen Beziehung nicht nur im Interesse Europas ist, sondern auch im vitalen Interesse der Vereinigten Staaten liegt. Es existiert kein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Der Binnenmarkt der NAFTA und der EU sind bei Weitem noch die von einander abhängigsten Wirtschaftszonen weltweit. 24 % aller direkten Investitionen in die EU stammen aus den Vereinigten Staaten – dem entgegen stehen 3 % Investition der Volksrepublik China. Europa ist immer noch der wichtigste Absatzmarkt für amerikanische Produkte – und umgekehrt. Es gibt keine vergleichbare globale Partnerschaft, die derart von einem gemeinsamen Wertegefüge lebt. Strategische Interessen lassen sich nicht nur mit der zunehmenden Verschiebung von Wohlstand von West nach Ost rechtfertigen, sondern müssen auch der Prüfung einer gemeinsamen politischen Basis standhalten.
Das Wichtigste zum Schluss: Das Pflegen der transatlantischen Beziehungen ist keine exklusive Aufgabe der ökonomischen und politischen Eliten. Die Zukunft dieses Wertebündnisses entscheidet sich nicht auf der ungezählten Podiumsdiskussion elitärer Zirkel, sondern in den Nationen Europas und der Vereinigten Staaten. Regionen halten zusammen, wenn ihre Gesellschaften zusammenwachsen. Die aktuelle Studie Transatlantic Trends des German Marshall Funds zeigt, dass die Jugend US-Amerikas und Europas sich von einander entfremden. Das ist das eigentliche Problem der transatlantischen Beziehungen: mangelnder gesellschaftlicher Dialog, mangelnder kultureller Austausch und Kopfschütteln statt Händedrücken. Deswegen hat sich die Initiative junger Transatlantiker gegründet – ein Verein von jungen Leuten, die sich genau diesem gesellschaftlichen Dialog widmen. Wir werden nicht im Alleingang den großen Wurf machen können – doch wie John F. Kennedy es formuliert: „But let us begin!“. Es ist ein Irrglaube, dass die transatlantischen Beziehungen bestehen können, wenn wir nur mehr Wirtschaftsdelegationen nach Washington schicken und uns darauf ausruhen, dass die Bundeskanzlerin die Medal of Freedom vom amerikanischen Präsidenten verliehen bekommen hat. Das Verleihen von Medaillen ist nicht konstitutiv für die transatlantische Partnerschaft. Symbolik spiegelt die Realität nur unzureichend wider. Konkrete Politik, bewusster gesellschaftlicher Dialog und das Kämpfen gegen Vorurteile auf beiden Seiten des Atlantiks sind die richtigen Wege, um die Beziehungen zu erneuern. Handeln statt zusehen ist das Credo der Stunde. Genug der Wehklagen!
Jacob Schrot
Vorsitzender Initiative junger Transatlantiker
Diese Liste der Enttäuschungen lässt sich beliebig fortsetzen – doch genug der Wehklagen! Oft wird in der Debatte um die Zukunft der transatlantischen Beziehungen verkannt, dass eine intensive europäisch-amerikanischen Beziehung nicht nur im Interesse Europas ist, sondern auch im vitalen Interesse der Vereinigten Staaten liegt. Es existiert kein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Der Binnenmarkt der NAFTA und der EU sind bei Weitem noch die von einander abhängigsten Wirtschaftszonen weltweit. 24 % aller direkten Investitionen in die EU stammen aus den Vereinigten Staaten – dem entgegen stehen 3 % Investition der Volksrepublik China. Europa ist immer noch der wichtigste Absatzmarkt für amerikanische Produkte – und umgekehrt. Es gibt keine vergleichbare globale Partnerschaft, die derart von einem gemeinsamen Wertegefüge lebt. Strategische Interessen lassen sich nicht nur mit der zunehmenden Verschiebung von Wohlstand von West nach Ost rechtfertigen, sondern müssen auch der Prüfung einer gemeinsamen politischen Basis standhalten.
Das Wichtigste zum Schluss: Das Pflegen der transatlantischen Beziehungen ist keine exklusive Aufgabe der ökonomischen und politischen Eliten. Die Zukunft dieses Wertebündnisses entscheidet sich nicht auf der ungezählten Podiumsdiskussion elitärer Zirkel, sondern in den Nationen Europas und der Vereinigten Staaten. Regionen halten zusammen, wenn ihre Gesellschaften zusammenwachsen. Die aktuelle Studie Transatlantic Trends des German Marshall Funds zeigt, dass die Jugend US-Amerikas und Europas sich von einander entfremden. Das ist das eigentliche Problem der transatlantischen Beziehungen: mangelnder gesellschaftlicher Dialog, mangelnder kultureller Austausch und Kopfschütteln statt Händedrücken. Deswegen hat sich die Initiative junger Transatlantiker gegründet – ein Verein von jungen Leuten, die sich genau diesem gesellschaftlichen Dialog widmen. Wir werden nicht im Alleingang den großen Wurf machen können – doch wie John F. Kennedy es formuliert: „But let us begin!“. Es ist ein Irrglaube, dass die transatlantischen Beziehungen bestehen können, wenn wir nur mehr Wirtschaftsdelegationen nach Washington schicken und uns darauf ausruhen, dass die Bundeskanzlerin die Medal of Freedom vom amerikanischen Präsidenten verliehen bekommen hat. Das Verleihen von Medaillen ist nicht konstitutiv für die transatlantische Partnerschaft. Symbolik spiegelt die Realität nur unzureichend wider. Konkrete Politik, bewusster gesellschaftlicher Dialog und das Kämpfen gegen Vorurteile auf beiden Seiten des Atlantiks sind die richtigen Wege, um die Beziehungen zu erneuern. Handeln statt zusehen ist das Credo der Stunde. Genug der Wehklagen!
Jacob Schrot
Vorsitzender Initiative junger Transatlantiker