Etwas fault im Staate Amerika – Unvermeidlicher Niedergang einer Supermacht?

von Juri Schnöller
Nimmt man einmal Abstand von den erhitzten tagespolitischen Nachrichten, so tobt in Washington D.C gerade eine Schlacht der ganz anderen Sorte. Intellektuelle und Policymaker jeglicher Couleur diskutieren lebhaft und sehr emotional, ob nach den Turbulenzen des vergangenen Jahrzehnts überhaupt so etwas wie ein „Amerikanischer Niedergang“ stattfindet und wenn ja, inwiefern dieser sich auf die geopolitischen Machtverhältnisse in der Welt auswirken wird.  Dem breiteren Publikum wurde diese Debatte spätestens mit dem 2008 veröffentlichten Buch The Post-American World von Fareed Zakaria, CNN-Starjournalist, bekannt. Brzezinski, Nye, Kupchan und Kagan – im Grunde hat sich inzwischen jeder, der in Amerika Rang und Namen in der Politikwissenschaft genießt, zu dieser spannenden Thematik geäußert und dabei mehrheitlich eine fundamentale Machtverschiebung Richtung Asien attestiert.
Barack Obama hat in seiner jüngsten Rede zur Lage der Nation unmissverständlich klargemacht: „Anyone who tells you that America is in decline or that our influence has waned doesn’t know what they’re talking about.“ Unüblich klare Worte für einen Präsidenten, der sonst nicht müde wird die Notwendigkeit einer multilateralen Ausrichtung seiner Regierung zu betonen. Konservative überbieten sich sogar regelrecht in Lobgesängen auf die Einzigartigkeit Amerikas als „shining city on the hill“. In der Tat werden die USA auf absehbare Zeit – gemessen an klassischen Definitionskriterien von militärischer als auch ökonomischer Macht –  weiterhin unangefochten die globale Pole-Position einnehmen. Doch Experten wie der ehemalige Sicherheitsberater von Jimmy Carter, Zbiegniew Brzezinski, warnen zu recht beim Vergleich mit anderen Ländern die Gefahr der heimischen Probleme zu unterschätzen.
Charles Kupchan, einer der renommiertesten Professoren an der Georgetown University, bringt es treffend auf den Punkt: „International Grand Strategy always starts at home.“ Die innenpolitischen Herausforderungen für die Vereinigten Staaten sind gewaltig und es spielt für die Lösung dabei nur eine untergeordnete Rolle, wer am 4. November die Präsidentschaftswahlen gewinnen wird. Denn eine immer noch für amerikanische Verhältnisse vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit, stagnierende Löhne und exponentiell steigende soziale Ungleichheit (Die USA befinden sich bei der Einkommensverteilung auf gleicher Höhe mit Ländern wir Madagaskar, Uganda oder Kamerun) heizen das politische Klima an und tragen zur stärkeren Polarisierung der beiden Parteien bei.
Dabei wäre eine enge Kooperation gerade jetzt von signifikanter Bedeutung, denn die Staatsverschuldung ist seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 explodiert und bisher haben beide Lager keine schlüssigen Konzepte hervorgebracht, wie diese langfristig reduziert werden kann. Während ein Großteil der Republikaner dank des umtriebigen Lobbyisten Grover Norquist einen Eid abgelegt hat, niemals im Leben für Steuererhöhungen zu votieren, sperren sich Demokraten bei Einschnitten im Sozialwesen und plädieren für weitere Steuerentlastungen für einkommensschwache Familien.
Die Kernfrage ist jedoch: Was wären die notwendigen Investitionen in die Zukunft, um die amerikanische Wirtschaft weiterhin global wettbewerbsfähig zu halten? Unternehmen wie Apple oder Facebook werden zwar gerne zu Symbolen amerikanischer Innovation stilisiert, Arbeitsplätze werden jedoch auf dem heimischen Markt kaum generiert. Die OECD bescheinigt den Vereinigten Staaten zwar noch einen ansehnlichen sechsten Platz in der Kategorie „Innovationsfähigkeit“, gemessen an der ehemaligen Spitzenreiterrolle verliert das Land jedoch permanent an Boden gegenüber den neuen aufsteigenden Mächten. Noch interessanter ist jedoch eine Studie des Weltwirtschaftsforums, die die Infrastruktur aller Industrienationen analysiert hat, mit einem besorgniserregenden 23. Platz für die USA. Mehrere unabhängige Expertenkommissionen haben dem Department of Transportation (Verkehrsministerium) notwendige Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe attestiert, um das Schienen-, Energie- und Straßennetz für die globalen Wettbewerbsbedingungen des 21. Jahrhunderts fit zu machen.
Weitere Indikatoren sind ein (immer noch) sanierungsbedürftiges Gesundheitssystem, die höchste Kriminalitätsrate in der westlichen Welt und eine exponentiell ansteigende Zahl Obdachloser in allen größeren Städten – die Liste ließe sich endlos fortführen. Nun sind diese Tatsachen an sich kein Grund von einem unvermeidlichen Niedergang zu sprechen. Die USA müssen sich wie andere westliche Gesellschaften den enormen Herausforderungen bewusst werden, die sie in den kommenden Jahren dringend begegnen müssen um mittelfristig ihren globalen Führungsanspruch zu behaupten.
Es bleibt fraglich ob das tief gespaltene Land sich zusammenfinden kann, um die gewaltigen Herausforderungen zu meistern. In jeglicher Hinsicht wird die Machtfrage des 21. Jahrhunderts nicht in China oder Indien, sondern im Herzen Amerikas entschieden.
Juri ist im Rahmen eines einjährigen Forschungsaufenthaltes der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Student an der American University in Washington D.C.

  • 21.03.2012
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