Fair handeln statt Geheimniskrämerei

Gabriele Zimmer, MdEP, ist die Europawahl Spitzenkandidatin für Die Linke.

Gabriele Zimmer, MdEP, ist die Europawahl Spitzenkandidatin für Die Linke.

In Europa erleben wir zurzeit eine Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 58% in Griechenland, 54% in Spanien und 35% in Portugal. Vor diesem Hintergrund klingen Versprechungen von Jobs natürlich sehr attraktiv. Aber die Botschaft: „Mit TTIP raus aus der Krise!“ hat mittlerweile an Überzeugungskraft verloren.

 

In letzter Zeit bekomme ich reichlich Emails mit Anfragen zu meiner Kandidatur für die Europawahlen und die Mehrzahl davon betrifft TTIP. Gewerkschaften, Soziale Bewegungen, NGOs, Umwelt- und Verbraucherschutzverbände mobilisieren auf beiden Seiten des Atlantiks gegen die „Elefantenhochzeit“.

 

Warum all dieser Lärm, wenn wir von offizieller Seite nur Versprechungen von mehr Jobs und Wachstum hören? Das Mantra „Dank Freihandel mehr Jobs“ ist altbekannt. Mittlerweile sind jedoch genügend Daten vorhanden, um dieses Mantra an der Realität zu messen. Das hat Alejandro Nadal von der Hochschule Colegio de México hinsichtlich des North American Free Trade Agreement (NAFTA) zwischen den USA, Kanada und Mexiko, getan. NAFTA trat 1994 in Kraft. Heute zehn Jahre später kommt Alejandro Nadal zu dem Schluss: »Das Abkommen hat seine beiden wichtigsten Versprechen, Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen, nicht gehalten«. Netto seien in den zehn Jahren 750.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Auch das Wirtschaftswachstum bleibe seit Gründung der NAFTA mit durchschnittlich etwa 1,6 Prozent pro Jahr deutlich hinter den Erwartungen zurück. Auch in den USA und Kanada gingen rund 1 Mio. Arbeitsplätze verloren, der Lohndruck auf Millionen von Beschäftigten hat massiv zugenommen.

 

Ungeachtet dieser Erfahrung hören wir wieder dieselben Versprechungen in Bezug auf TTIP, natürlich alles wissenschaftlich unterlegt: Studien von Ecorys (2009), CEPR (2013), CEPII (2013) und Bertelsmann (2013)) stellen die wirtschaftlichen Folgen für beide Seiten des Atlantiks positiv dar. Das Wachstum für BSP und Reallöhne wird in den meisten Studien im Bereich 0,3 – 1,3 % beziffert.

 

Diese Studien haben wir durch ein Gutachten überprüfen lassen. Neben einer generellen Kritik an der Methodologie kommen die Autoren zu dem Ergebnis: Begrenzte wirtschaftliche Gewinne und beträchtliche Abwärtsrisiken. Besonders kritisiert wird, dass Folgeabschätzungen über die Reduktion nicht-tarifärer Maßnahmen vernachlässigt werden. Hinter diesem sperrigen Begriff verstecken sich Verbraucher-, Umwelt- und Sozialstandards, die auf beiden Seiten des Atlantiks auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen und Traditionen beruhen. Trotz Versprechungen, diese nicht aufzuweichen, sorgen sich viele Menschen in der EU um diese Mindeststandards. Dabei irritiert, dass uns einerseits Wirtschaftswachstum durch Angleichung der Standards versprochen wird und uns andererseits versichert wird, dass das Schutzniveau für diese Standards nicht gelockert wird. Aber wen wundert das, wenn wir bei diesen Verhandlungen von der EU-Kommission und dem US-Handelsministerium vertreten werden. Keiner von beiden hat sich in der Vergangenheit als Verfechter dieser Standards einen Namen gemacht.

 

Bei TTIP geht es jedoch nicht nur um Mindeststandards und die sogenannten „Chlorhähnchen“. Es geht um wichtige demokratische Entscheidungen von Bürgerinnen und Bürgern, wie wir produzieren, konsumieren und die Zukunft in unseren Kommunen, Regionen und Ländern gestalten wollen.

 

Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass ich mich nicht generell gegen Handel mit den USA oder wem auch immer ausspreche. Aber Handelsbeziehungen sollten Verbraucher-, Umwelt- und Sozialstandards respektieren und weiterentickeln, anstatt sie bei Verhandlungen in Hinterzimmern abzubauen.

 

Im Europäischen Parlament haben ca. 95% der Abgeordneten keinen Einblick in die Verhandlungsdokumente. Einige haben in ihrer Funktion im Handelsausschuss Einsicht in wenige Dokumente bekommen, müssen dazu aber schweigen. Am Ende können wir im Europäischen Parlament nur mit Ja oder Nein antworten. Im Vorlauf der TTIP Verhandlungen wurden Lobbyverbände großzügig eingebunden. Durch eine Anfrage an die EU-Kommission von Corporate Europe Observatory bezüglich Treffen mit Interessenvertretungen zur Vorbereitung der TTIP Verhandlungen wurde bekannt, dass von insgesamt 130 aufgelisteten Treffen, 119 mit Vertretern von Großunternehmen oder deren Interessenverbänden abliefen. In Anbetracht der Vielfalt der Themen, kann ein Abkommen wie TTIP nicht auf diese Weise verhandelt werden.

 

Informationen die bekanntgegeben werden oder durchsickern, belegen, dass es um weit mehr als einen Abbau von Handelshemmnissen geht. Vorschläge, wie die Einsetzung eines „Regulierungsrats“, der nicht nur über Industrienormen sondern auch über neue Gesetzentwürfe in allen Bereichen der Wirtschafts- und Finanzpolitik diskutieren soll, klingen recht abenteuerlich. Vor allem, wenn dieser „Regulierungsrat“ mit Beamten und nicht mit demokratisch gewählten Abgeordneten besetzt werden soll – ganz im Sinne von AmCham und Business Europe. Die US-amerikanische Seite hält ihre Position wegen des beginnenden Wahlkampfes zum US-Kongress hierzu jedoch noch bedeckt.

 

Eine breite öffentliche Diskussion findet derzeit zu den sogenannten Investor-Staat- Streitbeilegungs-Mechanismus (ISDS) statt. Diese sind in vielen Handelsabkommen bereits vorhanden, aber das Thema gewinnt mit TTIP wieder an Bedeutung. Drei »Fachanwälte« entscheiden auf Grundlage von Formulierungen wie „faire und gerechte Behandlung“ und „Schutz der ausländischen Investoren“, ob Bedenken eines ausländischen Investors gegenüber einer politischen Entscheidung gerechtfertigt sind oder nicht.

 

Warum werden nicht gleich alle Parteien aufgefordert, künftig ihre Wahlprogramme von den Konzernen genehmigen zu lassen? So könnten Forderungen vermieden werden, die zu einer Gewinnminimierung der Konzerne führen. Dann bräuchten wir diese Schiedsgerichte nicht. Haben wir kein Vertrauen in unsere Rechtssysteme und Gerichte in den USA und in der EU?

 

Eine Studie des Transnational Institute (TNI) belegt, dass dubiose Finanzinvestoren Griechenland, Spanien und Zypern auf weit über 1,7 Milliarden Euro Schadensersatz vor privaten internationalen Schiedsgerichten verklagen. Grund: Sie hatten trotz der Krise mit hohem Risiko in diese Staaten investiert, die dann aufgrund der Krise jedoch zu unterschiedlichen Maßnahmen greifen mussten, durch die Profiterwartungen der Investoren geschmälert wurden. Diese Beispiele belegen, dass es um eine Absicherung von Profiten gegen zukünftige demokratische Entscheidungen geht, unabhängig der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen mit Steuergeldern einspringen, wenn Konzerne sich bei hochriskanten Geschäften verzocken. Verhandlungen über elementare Fragestellungen dieser Art können nicht allein von dem EU-Kommissar für Handel De Gucht und Vertretern des US- Handelsministeriums verhandelt werden. Das Ganze wird noch interessanter, wenn man mal über den TTIP-Tellerrand hinausschaut: Zur gleichen Zeit werden verhandelt das Comprehensive Economic and Trade Agreement zwischen Kanada und der EU, das Trans-Pacific Partnership-Abkommen zwischen den USA und mehreren Pazifikstaaten und das Trade in Services Agreement zwischen der EU und 21 WTO Mitgliedern.

 

Wir erleben eine Neustrukturierung der weltweiten Handelsbeziehungen. Es geht dabei um nichts anderes als die Ausgestaltung unserer Zukunft. Das sollte gerade die jüngere Generation nicht nur den Eliten überlassen. Mischen Sie sich ein!