Woher wir kommen, wohin wir gehen – Ein Kommentar zu den Transatlantic Trends 2014

Deutschland und die USA – das ist eine historisch gewachsene Freundschaft, die das politische und gesellschaftliche Leben beider Länder nachhaltig geprägt hat. Aus unseren ehemaligen Feinden konnten vor allem deshalb unsere Freunde werden, weil wir damit begannen, eine politische Grundentscheidung für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit mit ihnen zu teilen. Diese Grundpfeiler staatlicher Ordnung bilden seit 65 Jahren jene ideologische Klammer, in der sich die Entwicklung von Besatzern und Besetzten über Beobachter hin zu Partnern vollzog. Die Bindung der jungen Bundesrepublik an die westliche Staatenwelt unter Führung der USA war die wesentliche Voraussetzung für diese Entwicklung.

Christian Schiller ist seit 2012 Mitglied der IjT und hierbei für die Vereinskampagne „Mein Amerika“ verantwortlich.

Christian Schiller ist seit 2012 Mitglied der IjT und hierbei für die Vereinskampagne „Mein Amerika“ verantwortlich.


Heute müssen wir uns jedoch fragen: quo vadis, transatlantische Freundschaft? Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist seit den Enthüllungen rund um US-amerikanische Geheimdienstaktivitäten „gedämpft“: Auf der deutschen Seite Empörung über die massive Ausspähung durch den amerikanischen Geheimdienst (jedenfalls einen davon), auf der amerikanischen Seite Verwunderung bis Unverständnis angesichts dieser Reaktion, schließlich kämpfe man doch gegen den weltweiten, alle Staaten und Menschen bedrohenden Terrorismus.
Eine Antwort auf die aufgeworfene Frage existiert noch nicht, doch zeigen die jüngst veröffentlichten Transatlantic Trends 2014, wohin die Reise gehen könnte. Mehr Unabhängigkeit von den USA – das wünschen sich laut der jährlichen Studie des German Marshall Funds of the United States 57 % der Deutschen. Vor einem Jahr waren es nur 40 %. Um die Verbundenheit zwischen Deutschland und den USA nachhaltig in Frage zu stellen, scheinen die aktuellen Auseinandersetzungen indes nicht zu reichen: 58 % der Deutschen haben nach wie vor eine positive Meinung von Amerika (Europa: 67 %). Und eine Hinwendung nach Osten kommt offensichtlich nicht in Frage: 70 % der Befragten haben keine positive Meinung über Russland und 65 % sind der Ansicht, dass China keine führende Rolle in der Welt einnehmen sollte. Aber eines ist klar geworden: Die transatlantische Partnerschaft kann sich wie das vereinte Europa nicht länger nur auf rein historische Argumente stützen. Die Gründe für eine fortdauernde transatlantische Freundschaft müssen vielmehr in der Gegenwart und hier nicht zuletzt auf gemeinsamen, gelebten Grundüberzeugungen fußen.
Welche Grundüberzeugungen sind das? Sind es die traditionellen Ideen von Demokratie und Freiheit? Oder sind es konkret gefasste, gemeinsame Ziele wie mehr Transparenz im zwischenstaatlichen Handeln, ein kooperatives Eintreten für den Schutz der Umwelt oder die soziale Gerechtigkeit? Und was ist unter der „verstärkten Unabhängigkeit“ – für die immerhin die Mehrheit der Befragten votiert hat – konkret zu verstehen? Wie weit soll sie reichen und was bedeutet sie für das Bündnis zwischen Amerika und Deutschland?
Die eigenen Länder, so das Umfrageergebnis, sollen in den Bereichen Sicherheit und Diplomatie selbstständiger werden, also weniger auf Impulse aus der amerikanischen Politik warten (für Deutschland: 57 %). Aber: 60 % wünschen sich eine starke US-Führung im Weltgeschehen. Umgekehrt wünschen sich 70 % der Amerikaner, dass die Europäische Union eine stärkere Führungsrolle einnimmt. Für den innereuropäischen Raum und dessen angrenzenden Regionen ist eine koordinierte Sicherheits- und Außenpolitik der EU-Staaten in der Tat längst überfällig. Aber ist die EU institutionell und politisch bereits soweit, diese Arbeit zu übernehmen? Nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Menschen in Europa scheinen es ihr zuzutrauen: 73 % der Europäer sind für eine stärkere Führungsrolle der EU. Dies kann wiederum zu einer Entlastung des amerikanischen Engagements im europäischen Raum und zu einer Neuausrichtung der transatlantischen Kooperationen führen.
Als eine Interpretation dieser Umfrage kann also festgehalten werden: Ja, wir (Deutschen und Europäer) wollen die transatlantische Freundschaft erhalten, aber nicht zu jedem Preis. Wir sind bereit, in sicherheitspolitischen und diplomatischen Beziehungen Verantwortung zu übernehmen und eigene Akzente setzen, die – das muss klar sein – auch von amerikanischen Vorstellungen abweichen können. Und diese Freundschaft braucht ein Fundament aus gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamen, gelebten Überzeugungen.
Über diese Überzeugungen müssen wir, Deutsche und Amerikaner, auf allen uns zur Verfügung stehenden Ebenen und Kanälen miteinander sprechen, um zu erfahren, was uns aneinander wichtig ist, was wir voneinander erwarten, was wir voneinander lernen können und was wir bereit sind einander zu geben. Das macht Freundschaft aus.
Zur Umfrage: http://trends.gmfus.org/transatlantic-trends/

  • 23.09.2014
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