Freund hört mit

Von Lukas Posch
Es hätte keine millionenfache Grundrechtsverletzung in Deutschland gegeben, meinte der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla im August 2013. Seitdem wanderte der Fokus der Berichterstattung weg von der Frage, ob US-amerikanische Nachrichtendienste auf deutschem Boden Daten von Deutschen erhoben und sie in die USA übermittelten, hin zur Zusammenarbeit deutscher Nachrichtendienste mit ihren US-amerikanischen Entsprechungen. Was aber hat es mit dieser Zusammenarbeit auf sich und ist sie vernünftig?
Welche Zusammenarbeit bestand bisher? Ein kurzer Überblick
Nach Ende der von den Ereignissen des 11. September 2001 hervorgerufenen Schockstarre wurden in den USA die Bemühungen, möglichst viele relevante Daten zu sammeln, intensiviert. Dass man bereits zuvor auf dem Boden der Bundesrepublik Einrichtungen betrieben hatte, die die Aufzeichnung von Gesprächen ermöglichten, sollte dabei kein Nachteil sein. Genauso von Vorteil war, dass sich in Frankfurt der Internetknoten DE-CIX befindet. Der war bereits zu diesem Zeitpunkt riesig, heute ist er der größte Internetknoten weltweit.
Eine Zusammenarbeit zwischen NSA und BND fand spätestens ab 2004 mit dem Beginn der Operation Eikonal statt, in deren Rahmen der nach eigenen Worten technisch unterlegene BND von seinem amerikanischen Partner Zugriff auf die Vorläufer von Prism und XKeyscore erhielt. Im Gegenzug erhielt die NSA Zugriff auf DE-CIX. Eine entscheidende Rolle kommt dabei auch der Mangfall-Kaserne im bayerischen Bad Aibling zu, denn von hier aus werden die in Frankfurt abgefangenen Daten ausgewertet. Bis 2004 war die Kaserne ein Horchposten der NSA; seitdem sitzen Experten des BND, der die Station formal übernommen hat, Seite an Seite mit solchen der NSA. Ziel soll insbesondere die Erhebung und Auswertung von Daten aus Russland gewesen sein. Soweit kein Problem, doch bei einem in Frankfurt befindlichen Knoten ist es nicht zu vermeiden, dass Daten deutscher Bürger ebenso in Bad Aibling landen. Diese dürfen jedoch nur unter den Voraussetzungen des G-10-Gesetzes überwacht werden. Um Daten, die von Deutschen stammen, von der Übertragung auszunehmen, wurden Filter installiert, über deren Erfolgsrate es heißt, dass bis zuletzt eine absolute und fehlerfreie Trennung nicht möglich gewesen sei.
Bis zuletzt, das war 2008, als Eikonal abrupt abgebrochen wurde. Warum der Abbruch erfolgte, ist bisher nicht bekannt. Seit der Einstellung der Operation übermittelt der BND Metadaten, die er selbst erfasst, im Rahmen des deutschen Beitrags zum Krieg gegen den Terror. An manchen Tagen wurden dabei rund 60 Millionen Telefonverbindungen in Deutschland aufgezeichnet und weitergeleitet. Neben dem BND arbeitet auch das Bundesamt für Verfassungsschutz mit der NSA zusammen: Im Austausch für die Nutzung der Software XKeyscore durch das BfV teilt es alle gewonnenen Erkenntnisse mit der NSA.
Die neueste Teildebatte dreht sich um Selektoren, das sind insgesamt knapp eine Million Suchbegriffe, die die NSA dem BND übermittelte. Diese Begriffe pflegte der BND in seine Programme ein, welche anschließend Netzknoten und Satellitenverbindungen nach diesen Begriffen durchsuchten und Daten im Trefferfall festhielten. Problem dabei ist, dass die Selektoren nur gelegentlich auf ihre Rechtskonformität in Deutschland überprüft wurden. Nach dem Bekanntwerden von Suchbegriffen wie EADS, Eurocopter und Behörden im befreundeten europäischen Ausland stellte der BND am 4. Mai 2015 die Verwendung der Selektoren aus den USA ein.
Ein Ende der Zusammenarbeit?
Grund der Beendigung dürfte letztlich die Welle der Empörung gewesen sein, die durch das Land geht. Mal mehr, mal weniger antiamerikanisch beseelt geben Bürger ihre Meinung zum Besten und lassen dabei außer Acht, dass es, allein auf die Frage der Zusammenarbeit der deutschen und der amerikanischen Nachrichtendienste bezogen, größtenteils der BND war, der in den letzten Jahren seine Hände nicht von den Daten lassen konnte. Selbstverständlich ist dies mit US-amerikanischer Hilfe geschehen, doch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass der BND durchaus Gefallen an der Idee fand, mit besserer Technik mehr Ziele ausspähen zu können.
Was wäre an dieser Situation anders, wenn man den Forderungen einiger Stimmen Folge leisten und die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste dauerhaft auf Eis legen würde? Nun, der Bundesnachrichtendienst, der seinerseits bereits im März 2015 gestohlene Wasserhähne auf der Baustelle seiner besonders gesicherten und stark überwachten neuen Berliner Zentrale beklagen musste, würde technologisch vielleicht keinen Rückfall erleiden – nach vorne würde es aber, insbesondere aufgrund der öffentlichen Meinung, nicht gehen. Die Finanzierung eines Nachrichtendienstes ist solange mehrheitsfähig, solange Schaden von der Bundesrepublik und ihren Bürgern abgewandt wird. Ob das aber noch der Fall ist, scheint zweifelhaft.
Seitens der USA würde sich weniger ändern, als manchem Bürgerrechtler lieb ist, denn im Fall nicht erneut aufgenommener Zusammenarbeit bei der Überwachung beispielsweise des Internetknotens in Frankfurt werden sich am neuen Stützpunkt der Nachrichtendienste der USA in Wiesbaden zweifelsohne Techniker finden, die die Mitwirkung des BND ersetzen werden. Denjenigen, die diese Maßnahmen der USA ablehnen, sei gesagt, dass es nicht die Aufgabe eines anderen Staates ist, in Deutschland für Spionageabwehr zu sorgen. Hier sind die deutschen Dienste in der Pflicht, zu handeln – eine Schuldzuweisung à la „Die Amerikaner sollen aufhören, in Deutschland Daten zu sammeln“ zeugt von Unkenntnis, fehlendem Verständnis und Kurzsichtigkeit.
Fest steht aber, und an dieser Stelle sei auch Überwachungsgegnern Recht gegeben, dass die bisherige Zusammenarbeit so nicht fortgesetzt werden kann. Darf sie auch nicht, da der BND mit der Übermittlung von Daten, die ihren Ursprung in der Überwachung der Kommunikation von Bundesbürgern haben, einen Grundrechtseingriff vorgenommen hat, der nicht zuletzt aufgrund seines Charakters als Massenaktion nicht durch das G-10-Gesetz gerechtfertigt werden kann. Hier wäre man also gut beraten, die Filter soweit fortzuentwickeln, dass eine absolute und fehlerfreie Trennung möglich wird.
Auch die Entgegennahme aller möglichen Selektoren muss hinterfragt werden. Wenn der BND sich selbst als Partner der NSA einschätzt, der mit dieser nicht auf Augenhöhe sprechen dürfe, dann sollten sich seine Verhandlungsführer tunlichst bemühen, etwas gegen diesen Status zu unternehmen. Die kommentarlose Akzeptanz jeglicher Weisung zur Überwachung sollte dementsprechend einer gemeinsam abgestimmten Programmatik weichen, welche – um möglichen Vorwürfen, dass in diesem Fall seitens der NSA die Zusammenarbeit verweigert werden würde, entgegenzutreten – durch den BND nicht mehr erfordern würde als eine einfache Frage nach einer Begründung der Selektoren.
Selbstverständlich ist es möglich, dass Forderungen der Verantwortlichen des BND nach einem stärkeren Mitspracherecht kurzerhand abgelehnt werden. Gerade dann muss und wird sich aber die transatlantische Freundschaft als stark genug erweisen, eine Verringerung der Zusammenarbeit im Überwachungsbereich zu akzeptieren. Vereinfacht formuliert war die deutsche Seite bisher zur Übermittlung von Daten bereit, die nicht übermittelt hätten werden dürfen, um technologische Fortschritte zu erzielen. Ob durch den BND hier eine falsche Abwägung oder ein geplantes Missachten gesetzlicher Vorschriften geschah, wird die Zeit zeigen – jetzt wäre allerdings die Zeit reif, um eine richtige Abwägung zugunsten der festgelegten Handlungsschranken des Nachrichtendienstes zu treffen.
Hinzu kommt, dass die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland immer vom Ziel getragen war, gemeinsam, nicht aber gegeneinander zu arbeiten. Im Rahmen des allgemeinen Ohnmachtsgefühls, das angesichts der gigantischen Datensammlungen und Fähigkeiten der US-amerikanischen Dienste und seiner Partnerdienste nicht aus dem Nichts kommt, fällt es leicht, die Schuld bei den USA zu suchen. Dass diesen aber der Wunsch, auch Daten aus Deutschland zu sammeln, nicht vorzuwerfen ist, wird oft zugunsten einer plump antiamerikanischen Haltung verdrängt, die sinngemäß eine Nichteinmischung in deutsche Angelegenheiten fordert.
Wege aus der Misere
Es ist nicht davon auszugehen, dass eine der beiden Seiten den Wunsch hegt, die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste dauerhaft einzustellen. Gerade aus diesem Grund ist die Möglichkeit zu Verhandlungen gegeben, in denen sich die Vertreter der Bundesrepublik als fähige Unterhändler beweisen können, indem sie auf bestimmte Grenzen bestehen, die gesetzlich vorgegeben sind oder zwingenden deutschen Interessen entsprechen. Selektoren, die darauf abzielten, dass der BND mutmaßlich Kommunikation von Airbus an die NSA weiterleiten sollte, kann und darf es im Fall vernünftiger Kontrolle auch nicht geben.
Dass unter befreundeten Staaten keine Spionage stattfinden wird, ist eine schöne Illusion – es bleibt aber auch beim zehnten Gedanken daran eine bloße Illusion. Daran ist auch nichts auszusetzen, denn nachrichtendienstliche Arbeit hat immer auch den Zweck, einem Staat nützliche Informationen zu verschaffen, auch über seine Freunde. Wenn die Zusammenarbeit zwischen BND und NSA stark bleiben soll, dann, indem Bereiche festgelegt werden, die genauer unter die Lupe genommen werden. Dass die NSA sich aber einiger Suchbegriffe bedient und damit den BND – von diesem selbst unbedacht – dazu bringt, die Bundesrepublik auszuspionieren, mag vielleicht Stoff eines schlechten Films sein, soll aber keinesfalls ein dauerhafter Zustand bleiben.
Die Bedeutung der Zusammenarbeit bleibt unbestritten – auf den Verhandlungstisch gehören aber gerade deshalb Absprachen über Bereiche, in denen weniger Spionage stattfindet. Aber auch BND und die Verfassungsschutzbehörden müssen in die Pflicht genommen werden und die vernachlässigte Spionageabwehr ausbauen. Unter diesen Bedingungen kann auch mit mehr Verständnis der Bürger gerechnet werden, denn obwohl ihnen zweifellos jemand zuhört, werden ihre Anliegen nicht gehört.

  • 11.05.2015
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