von Lukas Posch
Binnen weniger Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa begannen die alliierten Mächte, auf deutschem Boden den Wiederaufbau zu koordinieren und zu unterstützen – allen voran die Vereinigten Staaten, die neben Direkthilfen mit dem Marshallplan und der Gründung der OEEC ab 1948 dafür sorgten, dass Industrialisierung und Wohlstand wieder im Westen Einzug halten konnten. Während diese Arbeit den Grundstock für eine seit Jahrzehnten beständig Erfolge erzielende Politik bilden sollte, zeichnen sich seit einiger Zeit Risse in der Zusammenarbeit der transatlantischen Partner ab. Symptomatisch sind hierfür die Ergebnisse der Umfragen und Berichte des German Marshall Fund und des Pew Research Center. Woran krankt die Zusammenarbeit und wie können wir sie stärken?
Mehrfache Entfremdung unter Freunden?
Mit den Vorkommnissen in der östlichen Ukraine und auf der Krim begann im Frühjahr 2014 erstmals seit Ende der Jugoslawienkriege 2001 wieder ein bewaffneter Konflikt auf europäischem Boden. Doch während in früheren Jahren die mehrheitliche Unterstützung der Europäer gewiss war, wenn die Vereinigten Staaten in einen Konflikt einzugreifen vorhatten, haben Medienberichte der letzten Monate klar gezeigt, dass eine Intervention der Vereinigten Staaten in den ukrainischen Konflikt aus deutscher Sicht zu beträchtlichen Teilen unerwünscht ist. So halten 27% der Deutschen die US-amerikanische Herangehensweise gegenüber Russland für überzogen, während die Politik der EU mit nur 18% an Gegenstimmen weniger kritisch beäugt wird (Quelle: Pew Research Center, May 2015, „Germany and the United States: Reliable Allies“, Q7-8).
Hier scheint in den letzten Jahren ein Sichtwechsel stattgefunden zu haben, den es zu erklären gilt – möglich scheint ein Zusammenhang mit der sich allgemein verschlechternden Bewertung der Außenpolitik des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Barack Obama. Dies jedoch einzig mit der Debatte um nachrichtendienstliche Aktivitäten zu erklären, wäre zu einfach, denn bereits vor Beginn dieser Debatte sank die deutsche Zustimmung zur US-amerikanischen Außenpolitik von rund 92% im Jahr 2009 konstant auf 56% im Jahr 2014 (Quelle: German Marshall Fund of the United States, Transatlantic Trends 2014, p. 18). Auch vor den Enthüllungen bewegte sich die Zustimmung im Bereich um 60%.
Noch deutlicher wird der oben angedeutete Bruch in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und den Staaten der EU bei Betrachtung der Frage, wohin es mit der transatlantischen Partnerschaft gehen soll. Während laut German Marshall Fund nur ein Drittel der US-Amerikaner eine entflochtenere Politik wünscht, würden 57% der Deutschen weniger Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten begrüßen. Noch stärker ist dieser Wunsch nur in Griechenland, Italien und Spanien. Entsprechend verhält es sich mit TTIP, hier verringert sich auf beiden Seiten des Atlantiks trotz großer Informationskampagnen die Zahl der Unterstützer deutlich. Während das Freihandelsabkommen in den USA aber immer noch von 50% als gute Idee angesehen wird und sich nur 21% aktiv dagegen aussprechen, liegt die Zustimmung in Deutschland bei 41% und die Ablehnung hingegen bei 36% (Quelle: Pew Research Center). Da die Zustimmung in Deutschland im März 2014 in der gleichen Umfrage noch bei 55% lag, kann davon gesprochen werden, dass auch die vernünftigste TTIP-Informationskampagne den Unkenrufen bestimmter Kreise bisher nicht das Wasser reichen konnte. Der einzige Lichtblick scheint hier, dass sich weniger Leute als noch vor einem Jahr völlig uninformiert fühlen.
Wie schaffen wir die Wende?
Zentrale Frage muss daher für jeden Freund der transatlantischen Beziehungen sein, wie wir den Menschen insbesondere in Deutschland die Wichtigkeit und die Erfolge dieser Partnerschaft näherbringen können. So geben Informationsveranstaltungen ihren Teilnehmern zwar die Möglichkeit, sich einen grundlegenden Wissensstock über das jeweilige Thema anzueignen, aber die oben gezeigten Zahlen sprechen eine Sprache, der wir uns nur schwer erwehren können – auch viele derjenigen, die über Grundzüge des Abkommens Bescheid wissen, sprechen sich energisch dagegen aus. Hier müssen Wege gesucht werden, nicht nur den rationalen, sondern auch den emotionalen Teil der Menschen anzusprechen. Noch ist es zu einfach, sich Tatsachen zu verweigern, um sich stattdessen Ängsten hinzugeben. Es gilt nicht bloß die Vorteile zu loben, sondern diese Ängste abzubauen. Den 61% der Deutschen, die nach der Umfrage des Pew Research Center eine Aushöhlung europäischer Standards fürchten, sei gesagt, dass durch die steigende Transparenz der Regulierungsbehörden beiderseits des Atlantiks Synergien geschaffen werden können, dass Standards oft bereits jetzt dieselben sind und dass Schutzniveaus in den Vereinigten Staaten oftmals jedenfalls gleich hoch wie in Europa sind. Wer meint, no borders zu fordern, muss zwangsläufig auch no customs fordern.
Auch hinsichtlich der Sanktionspolitik gegenüber der Russischen Föderation mag man verschiedener Meinung sein, doch eine Harmonisierung derselben ist nicht etwa nur ein nettes Detail, sondern wird die Grundlage dafür bilden, dass die Vereinigten Staaten und die EU mit einer einflussreicheren Stimme sprechen. Eine einflussreiche Stimme, das ist etwas, woran den Staaten der EU oftmals nichts zu liegen scheint, was aber in den Vereinigten Staaten mehrheitlich gewünscht wird. Hier müssen die Staaten und ihre Völker auch daran erinnert werden, dass sie, auf sich allein gestellt, international eine verschwindend kleine Rolle spielen. Die USA wünschen sich ein starkes Europa, Europa jedoch fühlt sich nicht verantwortlich – welch unvorhersehbare Fügung es dann doch ist, wenn andere Mächte beginnen, Großmachtansprüche zu stellen.
Die transatlantische Partnerschaft braucht Menschen, die an sie glauben und die an ihr arbeiten. An denen, die an sie glauben, liegt es auch, denen, die diese Partnerschaft abschätzig bewerten, zu zeigen, warum sie der einzig wünschenswerte Weg in die Zukunft ist. Wer Einfluss fordert, ohne ihn auf eine Grundlage stellen zu wollen, handelt nicht nur wider die politische Logik, sondern wider seine eigene Zukunft. Mehr als die Hälfte der jungen Menschen unter 30 auf beiden Seiten des Atlantiks glaubt heute, dass seinem Land Isolationismus gut zu Gesicht stünde. Selten lag es an den Wenigen, den Wohlstand, den Frieden und die Zukunft der Vielen zu sichern. Wir alle tun durch das Entzaubern der Befürchtungen gut daran, diesen Vielen den Blick nach vorne besser heute als morgen zu öffnen.