Freiheit statt Furcht – weshalb das Iran-Abkommen ein Erfolg ist

(von Lukas Posch) – Mit Erreichen des Adoption Day des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), welcher zwischen Iran, den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union ausgehandelt wurde, am 18. Oktober 2015 begann die Umsetzung des Abkommens über das iranische Nuklearprogramm. Dass eine vollständige Nulllösung ausbleibt, lässt das Abkommen dabei nicht an Wert verlieren – denn Ziel war nie allein die Abkehr von nuklearen Bestrebungen, sondern das Erreichen einer diplomatischen Lösung, die auch dem iranischen Volk nutzen wird. Indem die Vereinigten Staaten Irans Regierung am Verhandlungstisch hielten, gelang ihnen ein Coup, dessen Erfolg die Ziele US-amerikanischer Außenpolitik nicht besser ausdrücken könnte.
JCPOA – Was verbirgt sich dahinter?
Das am 14. Juli 2015 in Wien unterzeichnete Abkommen ersetzt und verstärkt den Joint Plan of Action (JPOA), welcher im November 2013 in Genf unterzeichnet wurde und das sofortige Aussetzen von Schlüsselelementen des iranischen Nuklearprogramms gegen eine teilweise Abschwächung der Sanktionen regelte. Der JPOA sah hierfür die Umwandlung von Uran, welches eine Anreicherung von über 5% erreichte, beispielsweise in Uranoxid vor. Zusätzlich sollten keine neuen Zentrifugen installiert werden und bereits vorhandene Zentrifugen in den Einrichtungen in Natanz und Fordo teilweise rückgebaut werden. Als entscheidender Fortschritt in diesem vorläufigen Abkommen konnte der Entschluss, Angehörigen der IAEO den Zutritt zu Uranminen und den vorgenannten Einrichtungen zu erlauben, gewertet werden. Im endgültigen Abkommen wurde festgelegt, dass für einen Zeitraum von fünfzehn Jahren die Menge an angereichertem Uran 300 kg nicht übersteigen darf und dass die Anreicherung bei 3,67% gedeckelt wird. Zudem werden Forschung und Entwicklung nur noch in Natanz stattfinden dürfen. Neben der Verstärkung des Inhalts des vorläufigen Übereinkommens wird auch die Zahl der Iran zugewiesenen Inspektoren der IAEO verdreifacht. Ziel des technischen Übereinkommens ist, die breakout time zu verlängern, dies ist die Zeit, die notwendig ist, um eine Nuklearwaffe herzustellen. Fünfzehn Jahre nach Eintritt des Implementation Day enden die Beschränkungen des JCPOA, wobei eine Wiedereinsetzung der Sanktionen nicht vorgesehen ist
Wirtschaftliche und politische Folgen
Während es den Staaten der EU ab der Beendigung der europäischen Sanktionen möglich sein wird, mit Iran in erweitertem Maß Handel zu treiben und eine wirtschaftliche Verflechtung vorzunehmen, unterbleibt diese Möglichkeit in den Vereinigten Staaten weitgehend – denn ungeachtet der etwaigen Aufhebung von Sanktionen, die im Verlauf der Debatte um die nuklearen Bestrebungen Irans eingesetzt wurden, verbleiben politisch motivierte Sanktionen weiterhin in Kraft. Einer Aufhebung dieser Sanktionen, die auch weiterhin den direkten Handel zwischen Unternehmen aus den Vereinigten Staaten und Iran weitgehend untersagen werden, stehtdabei insbesondere die Tatsache im Weg, dass ihre Aufhebung – soweit es sich nicht um Executive Orders handelt – einer Entscheidung der Legislative bedarf, welche hierzu in absehbarer Zeit nicht gewillt scheint. Wirtschaftlich profitieren damit vorrangig die Staaten der EU und Iran, während die Vereinigten Staaten zumindest vorerst außen vor bleiben werden. Anders verhält es sich hinsichtlich politischer Konsequenzen, die einer Aufhebung der gegen Iran gerichteten Sanktionen folgen werden. Während Stimmen, die das Abkommen ablehnen, darauf hinweisen, dass Iran mit einer gestärkten Wirtschaft seine Arbeit an der Erringung einer Vormachtstellung im Mittleren Osten fortsetzen kann, bedarf es auch der Darstellung positiver Folgen. Zu diesen Folgen ist beispielsweise die deutliche Außenwirkung zu zählen, welche in einer diplomatischen Lösung der Auseinandersetzung fußt – mit der Erfüllung des JCPOA wird Iran der erste Staat sein, welcher durch Verhandlungen den Vollzug von Zwangsmaßnahmen aus Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen auszusetzen erreichte.

 

Ein gutes Abkommen?
Zentrale Fragestellung ist jedoch ungeachtet des diplomatischen Erfolgs, welcher allen Verhandlungsseiten anzurechnen ist, ob das Abkommen lediglich eine Sammlung von Zugeständnissen oder aber eine vernünftige Lösung darstellt, welche auch nach Ablauf der Bestimmungen weiter den Mittleren Osten prägen wird. Angesichts der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten seit Bekanntwerden iranischer Nuklearbestrebungen auf eine Nulllösung drängten, die ein Ende der Sanktionen erst bei vollständigem Abbruch sämtlicher nuklearer Vorhaben vorsahen, scheint der JCPOA eine stärkere iranische Handschrift zu tragen. Zudem stellt eine Verhandlungslösung mit Iran auch ein Anerkenntnis an dessen Aufstieg als zumindest regionale Macht dar. Ablehnende Stimmen, die vor einem nuklearfähigen Iran warnen, den es mit diesen Bestimmungen des Abkommens spätestens in fünfzehn Jahren geben könnte, deuten gerne auf die Machtprojektion, die nukleare Rüstung mit sich bringt – indem sie dieses Bild darstellen, so scheint es, sehen sie die Notwendigkeit einer neutralen Auseinandersetzung mit anderen möglichen Lösungsvarianten verschwinden. Die Alternative zu einem Abkommen wie dem JCPOA wäre Ahnungslosigkeit über iranische Bestrebungen im Westen und eine heimliche Fortsetzung ebendieser Vorhaben in Iran – ihre Konsequenz: Nachrichtendienstliche Versuche, das Nuklearprogramm zu verzögern, eine Fortsetzung der Sanktionen, welche insbesondere die Zivilbevölkerung treffen, das Andauern diplomatischer Eiszeit und letztendlich keine effektive Kontrolle über das in diesem Fall zweifellos fortbestehende Nuklearprogramm. Endgültige Lösung eines solchen Szenarios wäre wohl eine Intervention, wie sie bisher immer im Fall der Sanktionen aus Kapitel VII erfolgte. All diesen Alternativen zur gefundenen Lösung ist gemein, dass sie an einem bestimmten Punkt militärische Eingriffe erfordern werden, sobald eine imaginäre rote Linie überschritten wird, um Iran hinter die Linie zurückzudrängen. Verkürzt und vereinfacht ausgedrückt würde dies eine US-amerikanische Intervention bedeuten, die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen voraussichtlich nicht gebilligt würde – und auch wenn ausnahmslos alle bisherigen Interventionen dieser Art guten Vorsätzen geschuldet waren, wurden die mit ihnen verfolgten Ziele teils gröblich verfehlt. Dieses Risiko einzugehen lohnt sich nicht angesichts der Alternative, die sich mit der Bereitschaft aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, Deutschlands, Irans und der EU zu Verhandlungen bot. Die aktuelle Lösung stellt somit ein Bekenntnis zur Anwendung internationalen Rechts dar und gibt den Vereinigten Staaten die Chance, den von vielen Seiten vorgebrachten Vorwürfen hinsichtlich angeblich fehlender Kompromissbereitschaft entgegenzutreten. Wenn die Vereinigten Staaten schon als Weltpolizist dargestellt werden, gebietet es die Vernunft, ihren Willen zur Streitschlichtung anzuerkennen, welcher diese Präsidentschaft sicherlich überdauern wird. Niemand kann an dieser Stelle sagen, welche nuklearen Bestrebungen Iran frühestens im Jahr 2030 bei Ablauf der Limitierungen über Anreicherung und Zentrifugen haben wird. Doch indem wir Iran die Hand zur Rückkehr zu Verhandlungen reichen, ermöglichen wir auch Diskussionen über Bürgerrechte. Die Abkehr von der Nulllösung zugunsten eines Endes der Sanktionen stellt damit auch ein Anerkenntnis dar, dass das Volk Irans und seine Regierung unterschiedlichen Ansichten folgen. Das Volk dürstet nach Freiheit und der Fähigkeit zur Selbstbestimmung – und es liegt an den Staaten des Westens, dieser Saat der Freiheit einen Nährboden zu bereiten. Indem wir Verhandlungen gegenüber aufgeschlossen sind, nehmen wir einem Regime die Möglichkeit der Abschottung. Große Lösungen schlagen sich nicht allein in der Abwehr einer Gefahr nieder, sie nutzen das ihnen innewohnende Potential, um weitgehende Änderungen herbeizuführen. Diese Änderung – die Besserung der Lage der Menschen in Iran – verkörpert nicht allein die Ziele der Vereinten Nationen, sondern insbesondere das ständige außenpolitische Ziel der Vereinigten Staaten. Eine bessere Lösung dieses Konflikts könnte es nicht geben, wenn Diplomatie über Säbelrasseln siegt und Freiheit über Furcht.
  • 01.11.2015
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