Mein dummer Onkel Sam

Die US-Amerikaner sind einfach unglaublich dumm – auf jeden Fall viel weniger intelligent als die Europäer, speziell wir Deutschen. Diese These ist nicht neu, und sie erfreut sich unter unseren mittlerweile mehrheitlich amerikakritischen Mitbürgern seit Jahren wachsender Beliebtheit.

(von Christian Becker, Co-Leiter Regionalgruppe Südwestdeutschland) – Und es muss ja auch einfach so sein, schließlich interveniert „der Ami“ ja abwechselnd in arabischen und asiatischen Ländern, trinkt und isst sich mit Coca Cola und Hamburgern krank und wählt dann auch immer wieder so etwas schreckliches, wie zum Beispiel Republikaner. Als größter Beweis für die mangelnde amerikanische Geistesgröße galt bei unseren Landsleuten bislang die (Wieder-)Wahl von George W. Bush. Doch seit Donald Trump im Vorwahlkampf um die Nominierung eines GOP-Kandidaten kräftig absahnt, bekommt die antiamerikanischste aller Behauptungen wieder ordentlichen Rückenwind. Denn wer Trump wählt – im Schnitt knapp ein Viertel aller registrierten Vorwähler, ergo natürlich jeder einzelne Amerikaner – muss einfach blöd sein. Schließlich ist der, ja, was eigentlich?

Um den enormen Erfolg des Milliardärs Trump zu verstehen, reicht ein beherzter Blick auf die amerikanische Seele. Die USA selbst wurden zu einer Zeit, in der Europa Monarchen absolut regierten, als erste stabile demokratische Republik gegründet. Das in der Verfassung festgeschriebene Recht, das eigene Glück zu verfolgen, sowie die enormen bürgerlichen Freiheiten nehmen die Amerikaner sehr ernst. In Amerika glauben die Menschen mehrheitlich daran, dass man seines eigenen Glückes Schmied sein kann. Dabei ist ihnen durchaus bewusst, dass das in der Praxis nicht immer so klappt. Aber die USA sind eine Nation der Kämpfer, die das Scheitern im ersten Anlauf nicht fürchten und selten ans Aufgeben denken. Damit ist die „Can-Do-Nation“ eine Art optimistischer Gegenentwurf zur Gartenzaun-Einstellung vieler Europäer. Wer in Amerika zeigt, dass er es zu Geld, Macht und Einfluss gebracht hat, genießt Anerkennung und nicht Neid. Die Schlussfolgerung ist einfach und gar nicht so verkehrt: Wenn es einer im Big Business schafft, schafft er es auch in der Politik, das Land gut zu regieren. Und tendenziell stimmt das sogar. Auch zu Migrationsfragen haben die Amerikaner als Einwanderungsland und Willensnation ein anderes Verhältnis als die ehemaligen Kolonialherren und Weltkrieg-Verursacher in Europa und Deutschland, hier darf offen darüber diskutiert werden. Generell gilt, dass Meinungsäußerung erst mal eine feine Sache ist und man als jemand, der seine Meinung sagt, nicht gleich mit politisch korrekter Humorlosigkeit konfrontiert wird. Sie machen nicht andere für ihr Scheitern verantwortlich. Und sie haben ein Sozialsystem, dass aus Initiativen, Ehrenamtlichen, Vereinen und anderen aus dem privaten Sektor besteht. Die meisten sind non-profit und sie basieren auf reiner Freiwilligkeit derjenigen, die etwas geben möchten. Auch das ist nicht schlechter oder weniger intelligent, als die europäische Variante.

Natürlich ist Donald Trump nicht das, wofür sein Name steht. Sein Geld hat er geerbt, seine Fähigkeiten als Bauunternehmer sind eher bescheiden. Trump ist ein Blender und Populist und seine Biografie nur eine Marke. Doch 200 Jahre amerikanische Staatsphilosophie lassen sich nicht einfach wegwischen. Im Grunde genommen benutzt er seinen guten Ruf als erfolgreicher Geschäftsmann, um mit knallharten Worten für eine (im Vergleich) eher moderat-republikanische Politik zu werben, an erster Stelle aber für seine Person. Er liebt sich, und die Amerikaner lieben ihn dafür. Warum auch nicht? Die US-Bürger gönnen sich und anderen den Erfolg, und sie trauen ihn sich gegenseitig zu. Auf jeden Fall wird Trump dadurch nicht zu einem respektablen, regierungsfähigen Staatsmann. Er wird über den Status des polternden Egomanen nie hinauskommen. Warum wählt ihn dann immerhin ein gutes Drittel der republikanischen Vorwähler? Ist Uncle Sam nicht doch ein wenig dumm? Jedenfalls nicht dümmer als alle anderen. Da wären die die kultivierten und erhabenen Europäer, die in ihre Parlamente die Marine LePens dieser Welt wählen. Die nicht in der Lage sind, die humanitären Krisen vor ihrer Haustür zu bewältigen oder die Frage um ihre nationalen Identitäten zu klären. Auch ist es für Amerika Selbstverständlich, sich an Bündniszusagen an europäische Partner zu halten. Die USA bringen regelmäßig Nobelpreisträger und weltweit expandierende Start-Ups hervor, die Deutschen sind stolz auf das Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgaben-übertragungsgesetz. Im 20. Jahrhundert hat Washington es zuerst mit den Faschisten (wie wir damals) und dann mit den russischen Kommunisten (wie damals Putin, der in Teilen Ostdeutschland interessanter Weise so beliebt ist wie Trump z.B. in Iowa) aufgenommen. Die gemäßigt guten Popularitätswerte Donald Trumps haben nichts mit ihm zu tun, sondern verraten schlicht und ergreifend, dass die Amerikaner immer noch an ihre Staatsphilosophie glauben: Freiheit, Bürgerrechte, werteorientierte Außenpolitik und der Stolz, dass das alles unter dem Star Spangled Banner vereint ist. Sie wollen wieder haben, was sie verloren glauben. Trump sagt schlicht und ergreifend, was viele hören wollen, damit ist er Populist, Liebling der Wutbürger, und die Amerikaner offiziell nicht dümmer als wir. Der Dumme ist, wenn man das so sagen kann, Trump selbst. Das ist auch der Grund, warum selbst namhafte Republikaner – übrigens alle Amerikaner – nun Wege finden, ihn zu stoppen.

Wie eigentlich würden die Deutschen auf einen charismatischen Rhetoriker reagieren, der die Grundüberzeugungen einer Mehrheit knackig wiedergibt und dabei ein bisschen auf die Dinge schimpft, die wir alle blöd finden? Selbstverständlich würde mindestens ein knappes Viertel ihn sympathisch finden und in einer Direktwahl vielleicht sogar wählen. Einige „wandelnde Belege“ für diese Theorie gibt es mittlerweile in der deutschen Politik. Trotzdem: Manche Deutsche sind gerne Pessimisten, nennen das Realismus und meinen damit Intelligenz. Wer es aber schafft, die USA in ihrem Kosmos und nicht durch die manchmal etwas hochnäsige Europa-Brille zu sehen, der wird merken, dass die Amerikaner nicht schlauer oder dümmer sind als alle anderen auch, nur etwas optimistischer und voller Selbstvertrauen. Sie sind ganz einfach: Amerikaner.