von David C. Stock
Im Vorwahlkampf für die anstehenden US-Präsidentschaftswahlen im kommenden November zeigt sich eine sehr außergewöhnliche Ausganssituation: mit Hillary Clinton und Donald Trump haben sich diejenigen zwei Aspiranten die Kandidatur in ihrer jeweiligen Partei gesichert, die in den aktuellen Umfragen nicht nur die meisten Stimmen für sich, sondern auch gegen sich haben.
Laut Umfragen von NBC und dem Wall Street Journal haben somit nun zwei Kandidaten die nahezu sichere Chance auf die Nominierung ihrer Partei, die jeweils von mehr als der Hälfte aller Amerikaner negativ gesehen werden. Steve Schmidt, zentraler Wahlkampfmanager von Senator John McCains Präsidentschaftskampagne in 2008, sagte vor Kurzem: “This election is not going to be about issues; it’s going to be a race about character and temperament between two of the most unpopular political candidates in history.”
Selbst innerhalb ihrer Parteien sind die zwei hoch umstritten: während Hillary Clinton insbesondere vom linken Flügel der Demokraten und jüngeren Wählern, sehr sichtbar an der Beliebtheit von Senator Bernie Sanders, unter Druck gerät, steht Donald Trump besonders beim etablierten Teil der Republikaner unter starker Kritik. So haben ihm bisher selbst die zwei noch lebenden, ehemaligen republikanischen Präsidenten George H. W. Bush und George W. Bush ihre Unterstützung versagt.
Als Ursache dieser Situation wird häufig das Zweiparteiensystem identifiziert und kritisiert – einzelne Interessengruppen, seien es nun Protestwähler am linken oder rechten Rand oder das alteingesessene Parteiestablishment, nehmen zu viel Einfluss in den Primaries und Caucuses. Damit lassen sie Amerika in den Presidential Elections kaum eine andere Wahl, als sich für das geringere Übel zu entscheiden. Right? Nicht ganz. Wahr ist zwar, dass die zwei großen Parteien, die Republikaner und die Demokraten, das politische Geschehen dominieren, aber Fakt ist, dass auch unabhängige Kandidaten existieren und in der Vergangenheit bereits starken Einfluss auf das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen genommen haben. Bernie Sanders ist im aktuellen Wahlkampf ein gutes Beispiel, dass auch ein unabhängiger Kandidat sich um die Nominierung einer großen Partei bewerben und durchaus eine signifikante Anzahl an Delegiertenstimmen für den Nominierungsparteitag auf sich vereinen kann.
In 1992 trug ein unabhängiger Kandidat, Ross Perot, die Verantwortung dafür, dass George H. W. Bush die Wiederwahl verlor – Perot trat auf einer populistischen, innenpolitisch konservativen und wirtschaftspolitisch protektionistischen Basis an und sicherte sich 18 Prozent der Stimmen, die ansonsten wahrscheinlich zum großen Teil George Bush Sr. zuteilgeworden wären und ermöglichte so – ungewollt – Bill Clintons Erfolg und Einzug in das Weiße Haus. Im Jahr 1996 trat er mit der neu gegründeten Reform Party an und konnte sich nochmals acht Prozent der Wählerstimmen am Wahltag sichern. In 1998 konnte die Reform Party mit Jesse Ventura sogar kurzzeitig den Gouverneur von Minnesota stellen.
Auch wenn die Reform Party seither ihre Bedeutung weitestgehend verloren hat, hat sie doch auch anderen Drittparteien die Tür geöffnet. Seither sind beispielsweise die Libertarian Party und die Green Party stärker in das Auge der Öffentlichkeit gerückt. Die Green Party konnte im Jahr 2000 mit dem Verbraucherrechtsanwalt Ralph Nader ebenfalls 2,7% der Stimmen in den Presidential Elections holen und musste seither viel Kritik ertragen, da sie wahrscheinlich Al Gore die notwendigen Stimmen gekostet haben, die zum Wahlerfolg gegen George W. Bush gefehlt haben.
Die starke Kritik sowohl an Donald Trump als auch an Hillary Clinton gibt momentan beiden Parteien Aufwind. Die Green Party, die sich für Bürger- und Verbraucherrechte, Umweltschutz, LGBT-Rechte und soziale Gerechtigkeit einsetzt, wird bei den Präsidentschaftswahlen, wie bei der vorherigen Wahl im Jahr 2012, die Ärztin Jill Stein nominieren. Auch wenn sie in 2012 lediglich 0,36 Prozent der Stimmen erhielt, erhofft die Green Party sich in diesem Jahr eine Chance, dass sie bei einer Nominierung Hillary Clintons durch die Demokraten diejenigen Wähler für sich begeistern können, die ansonsten Bernie Sanders ihre Stimme gegeben hätten. In aktuellen Umfragen (Mai 2016) steht Jill Stein bei circa zwei Prozent aller Stimmen.
Die Libertarian Party, die bereits seit 1971 existiert, hat bei den Präsidentschaftswahlen in 2012 mit zwar nur einem Prozent der Stimmen ihr historisch bestes Ergebnis eingefahren, hofft aber in 2016 angesichts zahlreicher Republikaner, die Donald Trump die Gefolgschaft verweigern, auf starken Zuspruch. Die Libertären, die für einen minimalen staatlichen Eingriff in die Wirtschaft und das Privatleben der Bürger einstehen, fordern einerseits niedrige Steuern und eine geringeren regulativen Eingriff des Staates in private Unternehmen und verfolgen andererseits eine sehr progressive Gesellschaftspolitik, unter anderem durch die Legalisierung „weicher“ Drogen und der Förderung von LGBT-Rechten. Insbesondere ihre gesellschaftspolitischen Positionen sind ein Grund, warum ihnen ebenfalls Potential eingeräumt wird, sogar Unterstützer von Bernie Sanders, die Hillary Clinton die Gefolgschaft verweigern, für ihre Sache zu gewinnen. In 2012 hat die Libertarian Party den ehemaligen republikanischen Gouverneur von New Mexico, Gary Johnson, aufgestellt, den sie am 29. Mai 2016 nach mehreren Debatten nochmals nominiert hat. Johnson hat die Chance, durch seine politische Vergangenheit neben den orthodoxen Libertären ebenfalls diejenigen Republikaner, die parteiintern das „#notrump“-Movement begründet haben, für sich zu begeistern. Aktuelle Umfragen sehen ihn bei bis zu 16 Prozent.
Wie auch immer die Wahlen im November ausgehen, sie werden definitiv denkwürdig – und mit den zwei höchst umstrittenen Kandidaten der Demokraten und Republikaner stehen die Chancen gut, dass die oft übersehenen Drittparteien eine ernsthafte Chance haben, sowohl das Wahlergebnis selbst als auch die Positionierung der großen Parteien stärker als in den zurückliegenden Jahren zu beeinflussen.