In einer Debatte setzen sich Viktoria Donie und Lukas Posch mit der Bedeutung des Austritts aus dem UNHRC auseinander.
Ende ohne Schrecken – Ja, meint Lukas Posch
Wo immer ein festes Regelwerk fehlt, sind Durchsetzungsstärke und Glaubwürdigkeit der Akteure vonnöten. Eigenschaften, die dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNHRC) fremd sind – und das nicht etwa seit dem 20. Januar 2017. Vor zwölf Jahren zwecks Schutz und der Förderung der Menschenrechte gegründet, entwickelte der UNHRC rasch eine Obsession hinsichtlich angeblicher Menschenrechtsverletzungen durch Israel.
Natürlich bildet die einzige Demokratie im Nahen Osten nicht den einzigen Gegenstand der Arbeit des Rats – wohl aber liegt der Fokus auf ihr. In den ersten zehn Jahren des Bestehens des UNHRC wurden 61 Verurteilungen gegen Israel ausgesprochen, aber nur 54 gegen Staaten wie Syrien, Myanmar, Nordkorea, Iran und Weißrussland. Die Verurteilungen richten sich dabei teils gegen Israel als Staat und nicht allein gegen vorgeworfene Praktiken.
Die relative Lautstärke des Rats in dieser Angelegenheit bedingt – zum Leidwesen der Betroffenen – ein Schweigen in tatsächlichen Krisen wie etwa in Venezuela, wo Kinder hungern und ein ganzes Volk unter lebensunwerten Bedingungen gefangen gehalten wird. Die Gelegenheit, sich als erster Experte der Vereinten Nationen seit 2002 in Venezuela ein Bild von der lokalen Lage machen zu können, ließ der vom Menschenrechtsrat gesandte Alfred de Zayas ohne Kritik an der diktatorischen Staatsführung verstreichen – stattdessen wies er auf angebliches “Mobbing gegen Venezuela” hin, unter welchem die Glaubwürdigkeit des Rats leiden würde.
Tatsächlich liegen die Probleme des UNHRC tiefer, sie sind auch durch die Unsicherheit geprägt, welche Menschenrechte denn geschützt und gefördert werden sollen. Die bekannte Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, welche von der Idealvorstellung vom Zusammenleben in westlichen Demokratien und dem Streben nach dieser Vorstellung geprägt ist, dient etwa nicht allen Mitgliedstaaten des Rats als Vorbild.
Ein Drittel der Mitglieder – allesamt ebenso in der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) – verabschiedete 1990 ihre eigene Erklärung der Menschenrechte. Es handelt sich dabei betont nicht um eine Ergänzung zu Menschenrechten westlicher Art, sondern zu einem Gegenmodell, das sich bewusst einer religiösen Rechtspraxis unterordnet und dabei etwa auf Gleichberechtigung verzichtet.
Spricht die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, also von einer Stärkung despotischer Regime durch das Gebaren des Rats, ist diese Aussage nicht einfach von der Hand zu weisen. Zugleich wirft das vorzeitige Ausscheiden der Vereinigten Staaten die Frage auf, ob durch die Abwesenheit der USA diese relative Stärke der Autokraten nicht noch gefördert wird.
Human Rights Watch zufolge bedeutet dieser Teil von America First, dass die leidende Zivilbevölkerung Syriens und Myanmars bei den Vereinten Nationen ignoriert würde. In Anbetracht der Summen, die die Vereinigten Staaten jährlich zur Aufrechterhaltung der Aktivitäten der Vereinten Nationen zahlen, wirken solche Vorwürfe beinahe hämisch.
Schon vor über einem Jahr nahm Haley den Rat in die Pflicht und mahnte Veränderungen an. Von einer Kurzschlussreaktion kann entsprechend keine Rede sein. Vielmehr stellt diese Reaktion ein Akzeptieren der Realität dar, denn die Vereinigten Staaten sind nicht in der Lage, die mannigfachen Fehler, die Existenz und Arbeit des Rats überschatten, zu beseitigen – weder allein, noch zusammen mit anderen Mitgliedern.
Kritiker der Entscheidung der Vereinigten Staaten stoßen sich nicht zuletzt an der Person des Präsidenten. Man kann dem US-Präsidenten durchaus eine andere Agenda nachsagen als seinem Vorgänger, doch Präsident Trump aus diesem Grund für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu machen oder ihm das Vereinfachen derselben vorzuwerfen, heißt, die Schuld nicht beim Täter, sondern bei einem Beobachter zu suchen.
Zudem stößt die Kritik ins Horn des Präsidenten: Stellen die Vereinigten Staaten fest, dass Veränderungen in den Organisationen der Vereinten Nationen höchst selten passieren und noch seltener in eine Richtung gehen, die westlichen, den Menschenrechten verschriebenen Beobachtern folgt, wird diese Feststellung kritisiert – nicht aber der Wahrheitsgehalt angezweifelt.
Objektiv betrachtet hat der UN-Menschenrechtsrat zu keinen begrüßungswerten Veränderungen geführt, sondern hat eine Zusammenkunft von Autokraten und Menschenrechtsverletzern institutionalisiert und damit mit Legitimität versehen. Diese Legitimität wird nicht verliehen, wenn westliche Staaten außerhalb institutionalisierter Strukturen Verhandlungen mit den Menschenrechtssündern führen. Das sehen nicht nur die Vereinigten Staaten so, sondern auch europäische Verbündete.
Der Austritt der Vereinigten Staaten aus dem Menschenrechtsrat stellt keine Änderung zum Negativen dar – und schon gar nicht kommt er unerwartet oder unvorhergesehen. Ein Staat mit einem weltweit beispiellosen Ausmaß an Freiheiten, welche er seinen Bürgern gewährt, gibt seine weltpolitische Sendung mit diesem Schritt nicht auf. Wohl aber gibt er falschen Idealismus auf, wo dieser in der Wirklichkeit zu keinen Ergebnissen führen wird.
Die nächste Absage an die transatlantische Freundschaft – Nein, meint Viktoria Donie
Der nächste Zwischenschritt einer langen Aneinanderkettung diplomatischer Ausnahmesituationen erfolgte Anfang dieser Woche: Die Administration Trump verlässt den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Dieser sei israelfeindlich und mache aus den Menschenrechten ein Gespött, ließ Nikki Haley verlauten. In der Tat: Der Umgang des Rats mit Israel ist heikel, bisweilen skandalös. Resolutionen gegen die „Besetzten palästinensischen Gebiete“ stehen in keinem quantitativen Verhältnis zu anderen Staaten und dieser Umstand sorgt regelmäßig für Kritik und Verwerfungen insbesondere zwischen westlichen und arabischen Staaten. Die interessante Frage ist nicht, ob der Rat israelfeindliche Tendenzen hat, sondern ob es einen Austritt rechtfertig. Gerade aus transatlantischer Sicht muss die Antwort darauf Nein sein, auch zum zukünftigen Wohle Israels.
Der Austritt kann und muss in der Gesamtheit des diplomatischen Gebarens der Trump Administration gesehen und begriffen werden. Nach Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran, Verlassen der UNESCO und Ausstieg aus dem Klimaabkommen scheint dies lediglich der nächste Schritt weg vom Verhandlungstisch und hin zur Konfrontation. Genauso wenig, wie es beim Ausstieg aus dem Paris Agreement um die Rettung des Klimas geht, geht es hier um die Rettung der Menschenrechte. Die Begründung Nikki Haleys, der Rat sei ein schlechter Verteidiger der Menschenrechte, ist fadenscheinig – denn eigene Pläne zur Verbesserung der Situation liegen selbstverständlich nicht vor. Ganz zu schweigen von Menschenrechtsverstößen im eigenen Land.
Jeder einzelne, der oben genannten kürzlichen Außenpolitikschritte belastet zudem das transatlantische Verhältnis weiter. Da hilft es auch wenig, dass der Präsident seine abstruse und auf falschen Daten basierende Meinung zur Bewältigung der Flüchtlingsintegration in Deutschland auf Twitter kundtut. Der Austritt aus diesem Gremium ist die Pointe dieses Prozesses, der seit Januar 2017 in Gang ist: das Verraten der transatlantischen Freundschaft. In nahezu allen Politikfeldern hat eine deutliche Entfremdung stattgefunden, seien es die Zölle oder die Israelpolitik – es scheint einfach niemand mehr in Europa zu Trump durchzudringen. Die transatlantische Freundschaft und Sicherheitskooperation scheinen in seine Entscheidungen nicht mehr als Faktor miteinzufließen. Und nun entfremden wir uns sogar auf dem Fundament unserer eigentlich gemeinsamen Wertebasis: den Menschenrechten.
Mike Pompeo sagte zum Austritt aus dem Gremium: „But when Organizations undermine our national interest or our ally’s, we will not be complicit“. Klar ist, das einzige offizielle amerikanische Partnerland, dessen Interessen hier unterminiert werden, ist Israel. Der Austritt geht sogar explizit gegen die Interessen seiner europäischen Partner. Der Satz, sofern er von Pompeo mit Bedacht gewählt ist, suggeriert nicht weniger, als, dass Europa nicht mehr als Verbündeter zählt. Da hilft auch ein Blick auf die Liste der Länder, die von den Strafzöllen betroffen sind. Israel befindet sich nicht darauf. Und selbstverständlich kann auch der Umzug der U.S. amerikanischen Botschaft nach Jerusalem in diesem Licht gesehen werden.
Aber nicht nur die transatlantische Freundschaft erhält so eine Absage von Trump – sondern auch die Diplomatie selbst. Natürlich wurde auch unter Obama der Fokus des Gremiums auf Israel kritisiert, aber einen Verhandlungstisch zu verlassen darf immer nur das letzte Mittel eines Dialogs sein. Zudem führt es hier dazu, dass sich der israelfeindliche Bias des Gremiums weiter verstärkt und es weiter schwerer fallen wird in dem Bereich Kompromisse zu finden. Hinzu kommt, dass der Rat gute Arbeit geleistet hat, die auch die außenpolitischen Interessen der U.S. Amerikaner deckt. Jedes Land wird beispielsweise alle vier Jahre auf seine Menschenrechtspolitik hin überprüft. Dabei werden Missstände aufgedeckt und ein Dialog entsteht. Ausnahmen gibt es für niemanden, auch nicht die Feinde Israels. Selbstverständlich darf man daran Kritik üben, dass verschiedene Staaten sich gegen Überprüfungen und Kompromisse wehren, aber will die Trump-Administration, als Mitglied im Sicherheitsrat, wirklich diese der UNO inhärente Logik kritisieren? Eine Logik, die man sich selbst oft genug zunutze macht?
Der Rückzug aus internationalem Dialog ist ein prägendes Merkmal aktueller U.S. amerikanischer Außenpolitik. Bei der Suche nach Gründen für dieses Verhalten fällt es schwer, eine einleuchtende Erklärung zu finden. Man will sich schließlich auch nicht damit zufriedengeben, dass das Ganze allein auf Trumps Launen zurückzuführen ist. Charlotte Theile von der Süddeutschen Zeitung sieht die Gründe in der Frustration darin, die eigene Agenda nicht durchgesetzt zu haben:
„In der America-First-Welt Donald Trumps ist das ein nicht hinnehmbarer Zustand. Es geht also nicht nur um Israel. Es geht um Machtpolitik, darum, dass die USA unter Trump nicht mehr bereit sind, zu verhandeln und Kompromisse zu finden.“
Es macht sich vermehrt Unsicherheit breit. Die Außenpolitik Trumps beschleunigt ihren Konfrontationskurs. Europa ist verdutzt und findet auf kaum einen Angriff die richtigen Worte oder Mittel. Kaum verwunderlich bei Trumps unorthodoxer Kommunikation und seiner unberechenbaren und destruktiven Art, die stets beleidigt und nie anregt. Die transatlantische Freundschaft ist vorerst auf Eis gelegt, gemeinsame Standpunkte muss man inzwischen mit der Lupe suchen. Es bleibt zu hoffen, dass der nächste Präsident der Vereinigten Staaten den Schaden, den Trump angerichtet hat, zu neutralisieren vermag, wie es auch Trump geschafft hat, Teile des Obama-Vermächtnisses zunichte zu machen.
Viktoria Donie und Lukas Posch sind Mitglieder der Initiative junger Transatlantiker e.V., ihre Aussagen stellen ihre eigene Meinung dar, welche sich die Initiative junger Transatlantiker nicht zu eigen macht.