Was die Bundesrepublik Deutschland bei der Integration von den USA lernen kann

Aus der Asylstatistik für das Jahr 2015 geht hervor, dass im vergangenen Jahr 1,1 Millionen Migranten nach Deutschland gekommen sind. „Dieser enorme Zustrom hat uns vor Herausforderungen gestellt, wie es sie seit der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht mehr gegeben hat“, stellte Bundesinnenminister Thomas de Maizière fest. Nachdem dieser Zustrom – einerseits im Zuge der Grenzschließungen auf der sogenannten Balkanroute und andererseits aufgrund des Flüchtlingspaktes mit der Türkei – mittlerweile in geregelteren Bahnen verläuft, bleibt die Aufgabe, die Flüchtlinge in Deutschland zu integrieren. Dass wir mit unseren bestehenden Integrationsstrategien und -strukturen hierbei schnell an unsere Grenzen stoßen, drückt sich exemplarisch in dem Wunschdenken aus, dass Integration in einem Lager für 4000 Flüchtlinge auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof gelingen kann.
Es scheint, als handle die Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig nach den Worten des ehemaligen U.S.-Präsidenten Bill Clinton, der einst sagte: „Wir können nicht alles tun, aber wir müssen tun, was wir können.“ Wie in so vielen Situationen ist es hilfreich, manchmal notwendig, seinen Horizont zu erweitern und über den Tellerrand hinauszuschauen, um Grenzen eigenes Handelns zu überschreiten. Hierzu lud die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit der Initiative junger Transatlantiker am 16. März 2016 ein – unter dem Titel „Wie gelingt Integration? Von den USA lernen“. Zusammen mit ungefähr 50 Bürgern und Bürgerrinnen diskutierten Brian C. Johnson (Zweiter Sekretär an der U.S.-Botschaft und ab Mai 2016 im National Security Council des U.S.-Präsidenten) und Knut Abraham in seiner Position als ehemaliger Generalkonsul an der deutschen Botschaft in Washington D.C. (derzeitig Referatsleiter in der außenpolitischen Abteilung des Bundeskanzleramts).
„Immigration ist Amerikas älteste Tradition“ und sie „spielt eine einzigartige Rolle in den Vereinigten Staaten“, stellte Herr Johnson fest, worauf Herr Abraham erwiderte, dass „wir (…) Erfahrung mit Integration [haben]; sie ist nur anders“. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass „Integration (…) etwas [ist], das wir kennen“, führte Herr Abraham fort.
Der Unterschied zur bisherigen Integration in Deutschland bestehe darin, dass „die meisten Bürger und Bürgerinnen mehrOrientierung [in der Flüchtlingskrise] benötigen“, sagte Herr Abraham. Diese Orientierungslosigkeit zeigt sich auf der einen Seite im Einzug von rechtspopulistischen Parteien in Parlamente und auf der anderen Seite in zunehmenden nationalen Alleingängen, die oftmals Grenzschließungen implizieren. Allerdings wies Knut Abraham darauf hin, dass wer „nach innen frei ist (…) nach außen stark sein“ muss. Situationen wie in Indomeni würden sich zukünftig häufen.
Für Flüchtlinge – Personen mit einem Asylgrund gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention – bestehe ein „Schlüssel“ zur Integration in der Arbeitsmarktintegration, sagte Herr Abraham. In den USA werde Integration u.a. durch Bewerbungstrainings auf kommunaler Ebene ergänzt, fügte Herr Johnson hinzu. Darüber hinaus hätten in den USA alle Kinder von Flüchtlingen Zugang zu Bildung. Für eine Einschreibung an einer High-School seien darüber hinaus in den Vereinigten Staaten keine Papiere erforderlich. Spätestens in der dritten Generation hätten Migranten das gleiche – oder ein höheres – Bildungsniveau erreicht, wie es die Amerikaner haben.
Gegenstand des aktuellen Präsidentschaftswahlkampfs in Amerika sei außerdem der „Dream Act“, nachdem Kinder von Eltern, die sich illegal in den USA aufhalten, an amerikanischen
Universitäten studieren dürfen. Ein erster Versuch der Durchsetzung scheiterte an einer heftigen Debatte im U.S.-Kongress.
„Der ganz große Unterschied zwischen Deutschland und Amerika ist die Rolle des Staates“, sagte Herr Abraham. In der Tat sei in den USA nicht die Bundesregierung, sondern die Bundesstaaten und Gemeinden für die Integration verantwortlich, führte Brian Johnson fort. Fast ausschließlich die Kontrolle des Zuflusses, der Abschiebung – die unter Präsident Obama zunahm – und Ausreise von Migranten sowie das Definieren der Kategorien für Migranten obliege der U.S.-Bundesregierung. Man unterteile Migranten in die Status permanent, temporary (vorübergehend), discretionary sowie undocumented (nicht-registriert). Die permanente Aufenthaltserlaubnis impliziere unter anderem Grundrechte, eine Gesundheitsversicherung und Arbeitsmarktmobilität.
Brian Johnson unterteilte den Integrationsprozess in den USA in vier Kategorien. So werde die Möglichkeit nach Engagement in den Communities, die einen wesentlichen Beitrag zur Integration leisten, und das Ankommen der Migranten mit Beherrschen der englischen Sprache beträchtlich gefördert.
Durch den Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt würde es Migranten ermöglicht werden, „ihr Potential voll auszuschöpfen“. Der „Zugang zu Arbeitsplätzen und ein starker Arbeitsmarkt zählen zu den stärksten Triebkräften zur Integration in die amerikanische Gesellschaft auf lokaler Ebene“, fuhr der U.S.-Diplomat fort.
Integration in die Gesellschaft (civic integration) werde erreicht, wenn die „neuen Amerikaner“ das Gefühl hätten, in der Gemeinde oder Stadt aufgenommen geworden zu sein, sie sich zugehörig fühlen und are secure in their rights and responsibilities“. Lokale Behörden und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) würden dies durch die „Bereitstellung von Mitteln für die ärztliche Betreuung, Bewerbungstrainings und Arbeitsplatzvermittlung, Weiterbildungen, Englisch-Sprachkurse, Unterstützung bei sozialer Integration und Hilfe für Opfer von Folter“ unterstützen. Die vierte Kategorie sei der Weg zur Staatsbürgerschaft (A Pathway to Citizenship).
Abschließend ging Herr Johnson auf die 2014 von U.S.-Präsident Barack Obama gegründete „Task Force on New Americans“ ein, die „drei Säulen der Integration“ entwickelte, wonach die Integrationsstrategie optimiert werden solle.
Demnach fußt Integration neben der Sprache, deren Erwerb durch Bildung an Schulen und Universitäten sowie in Communities gefördert werden soll, auch auf der Wirtschaft. Integration könne im letztgenannten Bereich vor allem durch die Förderung des Unternehmertums, den Schutz der „neuen amerikanischen Arbeitnehmer“ durch die Förderung der Small Business Administration1 (SBA) und Unterstützung bei der Ausbildung unterstützt werden. Außerdem sei ein „Career Pathways and Credentialing Toolkit“ vorgesehen, das sowohl die Bundesstaaten als auch die Kommunen bei der Integration, Stärkung des Arbeitsschutzes sowie Arbeitsrechten unterstützen und Migranten den Zugang zum Wohnungsbauprogramms erleichtern solle.
Die bereits angesprochene Integration in die Gesellschaft (civic integration) soll mittels „Willkommenskulturen“ (Welcoming Communities) gefördert werden. Die Schaffung dieser wird durch Unterstützung auf lokaler Ebene und den Communities gefördert. Des Weiteren
1 In ihr Tätigkeitsfeld fällt unter anderem die Beratung und Unterstützung von Kleinunternehmen. So versucht die SBA Staatsaufträge an Kleinunternehmer zu vermitteln.
sollen die Einbürgerung und ziviles Engagement unter anderem durch öffentliche Informationskampagnen, die Förderung ehrenamtlichen Engagements für „Migranten und neue Amerikaner“ und Stipendienprogramme gefördert werden.
„Integration ist etwas, das wir kennen“, wir kennen es „nur anders“, stellte Knut Abraham fest. Auch Brian Johnson führte an, dass Migration „weder einfach, noch selbstverständlich, noch (…) perfekt“ sei. Die Erfahrung der Vereinigten Staaten mit Integration sei „nicht perfekt und es bleibt noch Arbeit zu tun. Aber unsere Erfahrung bietet umfassende Erkenntnisse (lessons) für andere Länder, insbesondere für Bundespubliken, wo sich die Verantwortung auf mehrere Akteure verteilt. Die Weiterentwicklung bestehender Integrationsprogramme und neue Initiativen zur besseren Anpassung an die neue Umwelt sind entscheidend für unseren anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg und unsere weltweite Führungsrolle.“
Gerade mit Blick auf die blutigen und feigen Terroranschläge radikaler Islamisten ist es überraschend, dass in den USA selbst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit ungefähr 3000 Todesopfern ein Anstieg von Gewalttaten gegenüber Muslimen ausblieb. Grund dafür war, so Brian Johnson, dass Präsident George W. Bush klarstellte, dass es sich bei den Attentätern nicht um Muslime, sondern radikale Extremisten gehandelt hat. Im Vergleich dazu kosteten die jüngsten Anschläge in Brüssel mindestens 31 Menschen, die Anschläge am 13. November 2015 in Paris 130 Menschen das Leben.