Zwischen Trittbrettfahrern und Trumpverstehern

Was bleibt, würden die Vereinigten Staaten ihren Gedankenspielen Taten folgen lassen und ihr Engagement in der NATO reduzieren? Bereits vor vier Jahren deutete Präsident Obama beim NATO-Gipfel in Wales an, zukünftig ein stärkeres Engagement der europäischen Mitgliedstaaten des westlichen Verteidigungsbündnisses sehen zu wollen. In Zahlen gefasst erfordert die erzielte Einigung von allen Mitgliedstaaten ein Hinbewegen zu Verteidigungsausgaben von zwei Prozent des BIP.

Die uneindeutige Formulierung des Ziels führt seither zu Diskussionen, ob am Ende des 2014 gefassten Zehnjahreszeitraums tatsächlich 2 % des BIP aufgewendet werden müssen oder ob die bloße Annäherung ausreicht. Im Fall Deutschlands erübrigt sich diese Diskussion, da die Verteidigungsausgaben zwischen 2016 und 2017 sich relativ betrachtet sogar verringert haben.

Ein geringeres US-Engagement ist für Europa unvorteilhaft

Sinnbild dieser Entwicklung sind regelmäßig wiederkehrende Berichte von Wissenschaftlern, aber auch aus den Truppen selbst, laut welchen von einer Verteidigungsfähigkeit im Ernstfall nicht auszugehen ist. Mit vier einsatzfähigen Jagdflugzeugen lässt sich unstreitig keine NATO-Mission jedweder Art unterstützen. Um die Zahl besser einordnen zu können: Deutschland hat sich dazu bereiterklärt, bis zu 82 Flugzeuge für das Verteidigungsbündnis zu stellen. Vier Eurofighter – das sind weniger, als Österreich rund um die Uhr flugbereit hält.

Vor diesem Hintergrund wirkt es wenig überraschend, wenn die US-Regierung unter Präsident Trump anklingen lässt, dass ein geringeres Engagement innerhalb des Bündnisses vorstellbar ist. Wenngleich diese Position aus Sicht des Präsidenten auch in Anbetracht des geringen Rückhalts für die NATO und der mit der Mitgliedschaft in ihr verbundenen Beistandspflicht verständlich sein mag, können wir als Europäer an einer solchen Lösung, die eher einer Auflösung gleichkommt, kein Interesse haben.

Die von den Vereinigten Staaten durch ihr Engagement in der NATO beständig erneuerte Sicherheitsgarantie zugunsten Europas wird kurz- und mittelfristig das Fundament der europäischen Sicherheitszusammenarbeit bleiben. Initiativen wie PESCO sind begrüßenswert und ergänzen die Sicherheitsarchitektur – sie werden jedoch nichts am grundlegenden Unwillen ändern, für die Sicherheit der eigenen Grenzen mehr Mittel aufzuwenden.

Dass es den europäischen NATO-Staaten auch nach den versprochenen Erhöhungen der individuellen Verteidigungsetats seit 2014 nicht gelingt, ihren näher an Russland gelegenen Verbündeten ein Gefühl von Sicherheit zu geben, wird auch durch die verstärkte Präsenz amerikanischer Streitkräfte in Osteuropa deutlich, für welche aktuell $ 4,8 Mrd. aufgewendet werden – ein Betrag, der 2019 um weitere 35% erhöht wird. Die Zielsumme von $ 6,5 Mrd. entspricht dem gesamten Verteidigungsetat der elf kleinsten NATO-Staaten.

America first heißt nicht America alone – das aber wird schwerer zu vermitteln

Bei aller berechtigten Kritik aus Washington ist jedoch auch festzuhalten, dass die Verteidigungsausgaben sich – auch in Deutschland – in absoluten Zahlen erhöhen. Jede Erhöhung des Etats scheint auf legislativer Ebene Überwindung zu kosten und auf Ebene der Wähler Vertrauen. Schon heute steht die Bundesrepublik einer Situation gegenüber, in welcher mehr Menschen Russland vertrauen als den Vereinigten Staaten. Durch in Teilen nicht länger am Konsens der Mitglieder orientierte Rhetorik wird sich diese Situation nicht ändern. Folge dieser verbalen Schlagabtausche ist, dass das Engagement in der NATO zunehmend infrage gestellt wird – das ist nicht verwunderlich, wenn Verbündete an einem Tag ganz anders behandelt werden als am anderen.

Die sicherheitspolitische Leitlinie des Präsidenten ist klar. Sie steht für die Sicherheit Europas, sie steht auch für eine weiterhin starke Zusammenarbeit Europas mit den Vereinigten Staaten. America first heißt eben nicht America alone. Dieses Faktum wird aber immer schwerer zu vermitteln.

Wer es versucht, aus dem wird rasch ein Trumpversteher gemacht – obwohl der weitaus größte Teil derer, die verteidigungspolitisch mit dem Präsidenten von 2018 übereinstimmen, mit dem Kandidaten von 2016 auf Kriegsfuß gestanden hätten. Ein starkes Bekenntnis zur Verteidigungszusammenarbeit ist keine Frage von Präsidenten, es ist eine Frage von richtig oder falsch, sicher oder unsicher.

Es verlangt Courage und Überzeugung, aufzustehen und – teils unüberlegten Worten des Präsidenten zum Trotz – für eine weiterhin starke Zusammenarbeit in der Verteidigung zu werben. Wenn die Europäische Union als foe bezeichnet wird, ist es selbstverständlich richtig, diese Wortwahl zu hinterfragen. Genauso wichtig ist es auch, sie in einen Kontext zu setzen.

Beendet das verteidigungspolitische Trittbrettfahren!

Im europäisch-amerikanischen Kontext stehen Äußerungen eines Präsidenten, einer Bundeskanzlerin oder eines Ministers nie allein. Wenngleich ihnen große Bedeutung zukommt, sind sie zuvörderst Teil eines größeren Ganzen, welches von Millionen Touristen, Geschäftsleuten, Studenten, Familien und natürlich interessierten Unterstützern des transatlantischen Verhältnisses gebildet wird auf einer geschichtlichen Grundlage, die Europa und Nordamerika für immer aneinander binden wird.

Es ist keine Lösung, Aussagen wie die zum jüngsten NATO-Partner Montenegro zu ignorieren. Tatsächlich droht manch ein Porzellanstück kaputt zu gehen. Das gegenseitige Vertrauen schrumpft. Es ist jedoch Aufgabe beider Seiten, dieses Vertrauen wieder aufzubauen. In einem Verhältnis, in welchem in Brüssel, Berlin und Washington jeweils auf die Verfehlungen des Anderen eingegangen wird, wird es Zeit, gemeinsame Erfolge herauszustellen und Problemen abzuhelfen. Für das Problem des verteidigungspolitischen Trittbrettfahrens gibt es nur eine Lösung, und die muss angegangen werden. So früh wie möglich und so beherzt wie möglich.


Lukas Posch ist Vorsitzender der Initiative junger Transatlantiker e.V. In diesem Beitrag stellt er seinen persönlichen Standpunkt dar, welcher nicht der Standpunkt der Initiative junger Transatlantiker e.V. sein muss.